Donnerstag, 1. Juni 2000

Peter Pawlowsky im Gespräch mit Bischof Erwin Kräutler


ORF.at, 1.6.2000
Peter Pawlowsky im Gespräch mit Bischof Erwin Kräutler

Ein Leben für Indianer

Der Vorarlberger Priester Erwin Kräutler wanderte 1965 nach Brasilien aus, wo er sich als Bischof der Diözese Xingu auf die Seite der unterdrückten Amazonas-Indianer und der Landlosen gestellt hat. Für das Engagement der Nächstenliebe riskiert der Bischof bis heute sein Leben. Er hat bereits mehrere Mordanschläge überlebt.

Vortragswoche in Österreich

Aus Anlass des 500. Jahrestages der Entdeckung Brasiliens durch den portugiesischen Seefahrer Pedro Cabral gab es in Österreich eine Vortragswoche des austro-brasilianischen Bischofs Erwin Kräutler.
Im Kulturzentrum der Minoriten in Graz sprach Kräutler zum Thema "Grundpfeiler einer Kultur des Lebens im neuen Jahrtausend".
In einem Gespräch mit Peter Pawlowsky berichtete Bischof Erwin Kräutler, wie er und sein kleines Team der verarmten Bevölkerung helfen.
Aufgezeichnet wurde das Gespräch vom ORF-Landesstudio Steiermark für ALPHA Österreich Mitte Mai im Kulturzentrum der Minoriten in Graz.

Interview mit Bischof Kräutler

Peter Pawlowsky ging in seinem Gespräch mit dem Bischof vor allem auf die Rolle der katholischen Kirche ein.

Rolle der katholischen Kirche
"Es wäre sehr einfach, die Indianer bloß um Vergebung zu bitten", meinte Kräutler zu vergangenen Fehlern auch von Seiten der Kirche. "Viel wichtiger ist es, neue Wege einzuschlagen. Ich werfe keine Steine auf die Missionare der Vergangenheit. Aber es geht darum, dass wir heute andere Zeichen setzen, dass wir mit den Indios sind und sie als Subjekte ihrer Geschichte sehen, die das Heft in der Hand haben".
Das Evangelium dürfe nicht in erster Linie als Wort verkündet werden, sondern als "Wort, das Fleisch geworden ist". Die Indios müssten spüren, dass Jesus einer von ihnen geworden ist.

Kirche für Indianer
Tatsache sei - so Kräutler -, dass sich die katholische Kirche gemeinsam mit anderen Kirchen für die Indianer eingesetzt und so ihr Überleben ermöglicht habe - dies auch gegen die Interessen der Mächtigen. "In dem Augenblick, in dem ich mich auf die Seite der Indianer stelle, bin ich automatisch gegen die Interessen aller möglichen Kapitalisten", so der Bischof.
Es sei schwierig, sich gegen diesen Hass zu stellen, der aus einer "furchtbaren Gier auf das Land" komme.
Die Kirche habe die Aufgabe, auf Strukturen hinzuweisen, die Unrecht sind, unterstrich Bischof Kräutler. Daher verteidige sie die Rechte der Landlosen, die von Großgrundbesitzern von ihrem Land vertrieben worden seien. Wenigen Großgrundbesitzern gehöre in Brasilien mehr als 90 Prozent des nutzbaren Landes; die Kluft zwischen jenen, die sehr gut lebten, und jenen, die schlecht oder praktisch überhaupt nicht leben könnten, sei immer größer geworden, prangerte Kräutler die ungerechten sozialen Verhältnisse an.

Lateinamerikaner als Vorbilder
Der Bischof plädierte für verstärkten Austausch innerhalb der Weltkirche. Die Hilfe, die den Ärmsten zuteil werde, sei keine Einbahnstraße. Kräutler: "Wir könnten von den Lateinamerikanern lernen gemeinschaftlicher zu denken, beim Feiern der Messe spontaner und weniger 'steif' zu sein, und die im eigenen Land gewachsenen Ausdrucksformen mehr einzubringen. Wir müssen ein bisschen mehr zusammenrücken, die jungen Leute so singen lassen, wie sie wollen. Dann würden auch mehr von ihnen in die Kirche kommen".

Lage der Indianer gebessert
Kräutler betonte zusätzlich, dass sich die Lage der Indianer in Brasilien gegenüber 1965, als er nach Brasilien kam, leicht gebessert habe: "Damals sagte man mir, es werde bald keine Indianer mehr geben. Damals waren es 250.000, heute sind es wieder 330.000".


Biographie von Erwin Kräutler

1939 geboren, 1958 Matura in Feldkirch und Eintritt in die Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut.
Studium in Salzburg, 1965 Priesterweihe, anschließend Missionar am Unteren Xingu und Amazonas.
Im Januar 1981 wird er Bischof der flächenmäßig größten brasilianischen Diözese, Xingu, mit rund 350.000 km² und etwa 400.000 Einwohnern, davon 3.500 Indianer. Sein Einsatz gilt der »Option für die Armen und die kulturell anderen«.
Auf seine Proteste gegen politische, soziale und wirtschaftliche Missstände reagieren die Verantwortlichen mit eindeutigen Drohungen.
1983 wird er bei einer Solidaritätsaktion mit Arbeitern, denen man monatelang den Lohn vorenthielt, niedergeschlagen, verhaftet und verhört.
Von 1983 bis 1991 Präsident des Indianermissionsrates der Brasilianischen Bischofskonferenz - CIMI. Derzeit von der Generalversammlung des CIMI für das Referat »Internationale Solidarität« beauftragt.
Kräutlers Einsatz für die Rechte der indigenen Völker in der Verfassung bringen ihm Diffamierung, Angriffe und Todesdrohungen. 1987 wird er bei einem inszenierten Autounfall schwer verletzt, ein Mitbruder kommt ums Leben.

Einsatz für die Indianer

Als Präsident von CIMI erreicht Kräutler 1988 mit internationaler Unterstützung, vor allem aus Österreich, die Anerkennung der Rechte der Indianervölker in der Verfassung. Seither bemüht er sich um die Durchsetzung dieser in der Konstitution verankerten Rechte.
Bei zahlreichen Reden, Vorträgen und Diskussionen im In- und Ausland informiert er die Öffentlichkeit vom Überlebenskampf der indigenen Völker auf dem lateinamerikanischen Kontinent, drängt zum Bewusstseinswandel und zur Verhaltensänderung. Unermüdlich tritt er für die an den Rand gedrückten Menschen ein und fordert gerechte Lebensbedingungen.
Seine Sorge gilt auch der Bewahrung der Schöpfung.
Auf Einladung von Bundeskanzler Vranitzky wirkt der Bischof als Berater bei der österreichischen Delegation bei UNCED im Juni 1992 in Rio de Janeiro mit.
Als Delegierter der Brasilianischen Bischofskonferenz. (CNBB) nimmt er an der IV. Vollversammlung des Lateinamerikanischen Episkopates im Oktober 1992 in Santo Domingo teil.

Auszeichnungen

Das Wirken des Bischofs wurde mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet: Erzbischof-Oscar-A.-Romero-Preis (1988), Binding-Preis für Natur- und Umweltschutz (1989), Dr.-Bruno-Kreisky-Preis für Verdienste um die Menschenrechte (1991), Ehrendoktorat der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität Innsbruck (1992), Dr.-Toni-Ruß-Preis (1992), Doktor der Theologie honoris causa, Theologische Fakultät Luzern (1992), Ehrenbürger von Altamira (Brasilien) (1992), Dr.-Karl-Renner-Preis (1992), Doktor der Theologie honoris causa, Universität Bamberg (1993), Bischof-Kräutler-Preis für Verdienste um die Indígenas Lateinamerikas (1996).