Donnerstag, 31. Oktober 2019

Amazonien-Synode-Abend mit Erwin Kräutler in Bregenz


Vorarlberger KirchenBlatt, 31.10.2019
Zuversichtlich und optimistisch
Rund 200 Interessierte kamen am Mittwochabend (30.10.2019) in die Bregenzer Seekapelle, um Bischof Erwin Kräutler zu hören. Er erzählte von der Amazonien-Synode, von Ergebnissen und Hintergründen, von Anekdoten und Nebenschauplätzen. Seine Zuversicht und Gelassenheit steckten an.

Das Interesse für den Abend war unerwartet groß und so entschieden die Veranstalter am Nachmittag, den Vortrag von der Buchhandlung Arche in die Seekapelle zu verlegen. Eine gute Entscheidung, der Ort war stimmungsvoll, die Konzentration leicht, es gab ausreichend Platz und Luft. Neben dem Altar nahmen Bischof Erwin Kräutler und Moderatorin Judith Zortea Platz. Obwohl der Geistliche erst am Vortag aus Rom zurückgekommen war, zeigte er sich frisch und wach, beantwortete die Fragen klar und engagiert. Was zuvor aus den Medien als Faktum bekannt war, bekam dadurch neue Farbe, denn Kräutler erzählte von Hintergründen und Nebenschauplätzen und machte das Geschehen in Rom damit lebendig und greifbarer.

Das Volk einbezogen
Eine Besonderheit dieser Synode, so der emeritierte Bischof von Xingu, war deren Vorbereitung. Am 18. Jänner 2018 schon verkündete Papst Franziskus bei einem Treffen mit indigenen Völkern den Beginn. Es wurden Fragebogen verteilt, die nicht nur von Experten, sondern von allen, also auch dem "kleinen Mann und der kleinen Frau" ausgefüllt wurden. Die Umfrage wurde gebündelt und nach Rom geschickt, daraus entstand das Arbeitspapier der Synode. "Während der Synode hab ich von überallher 'Sabisabis' bekommen - das sind WhatsApp-Nachrichten bei uns in Brasilien", erzählt Kräutler. "'Wir beten für euch', hieß es dort oder 'die ganze Synode über brennen Kerzen bei uns'... Die Leute durften ja mitreden, das Ganze ist ein Prozess."

Priesterfrage
Die Situation der Menschen vor Ort bestimmte die Themen und Ergebnisse der Synode. "Bei uns haben tausende von Gemeinden nur zwei- bis dreimal im Jahr die Möglichkeit, Eucharistie zu feiern. Bei den großen Festen wie Weihnachten und Ostern ist nie ein Priester da", schilderte Kräutler die Lage. "Laien - Frauen und Männer - halten Wortgottesdienste. Warum können diese nicht der Eucharistie vorstehen, warum erhalten sie keine Weihe?" Aus dieser Situation war der Wunsch nach einer Änderung der Zulassungsbedingungen zum Priesteramt entstanden. "Es geht nicht um die Abschaffung des Zölibats", stellte Kräutler klar. "Sondern es soll auch andere Zugänge zum Priesteramt geben."

Stimme der Frauen
Diskutiert wurde auch über die Rolle der Frau bzw. über das Frauendiakonat. Bei der Abstimmung sprachen sich acht von zwölf Gruppen dafür aus, dieses sofort einzuführen. Dieses "Sofort" schaffte es nicht in die Schlusserklärung. "Aber das Frauendiakonat ist drin im Text, es ist nicht vom Tisch", erklärte Kräutler zuversichtlich. Zudem erweiterte der Papst die Kommission, die diese Frage seit geraumer Zeit bearbeitet. Kräutler stellte eine große Wertschätzung der Frau fest, was ihn besonders freute. "Frauen sollen in Leitungspositionen kommen, damit es nicht nur männliche Entscheidungen gibt", erklärte er überzeugt. Zudem schilderte er, wie die Beiträge der über 50 teilnehmenden Frauen während der Synode vielfach mit großem Applaus bestätigt wurden. "Es war sicher die letzte Synode, bei der Frauen nicht mitstimmen durften", zeigte sich der Kirchenmann optimistisch.

Ein "amazonischer Ritus"
Ein großes Thema - gerade in Zusammenhang mit den indigenen Völkern - war die Frage der Inkulturation. "Evangelisierung muss von den kulturellen und religiösen Erfahrungen der Menschen ausgehen - sie sind der Humus, auf dem wir verkünden", brachte Kräutler die Grundausrichtung der Synode zum Ausdruck. Es gehe darum, neue Formen zu finden, die die kulturellen Ausdrucksweisen eines Volkes berücksichtigen - ob dies nun Tänze sind oder mythologische Erzählungen. Wie ein solcher "amazonischer Ritus" konkret aussehe, stehe noch nicht fest. Es gebe hunderte verschiedene Völker in Amazonien und vier Sprachgruppen - ein solcher Ritus müsse erst entwickelt werden. "Die Synode ist lediglich ein Impuls für eine neue Vision der Liturgie", so Kräutler.

Ökologische Umkehr
Das zweite große Thema neben diesen "neuen Wegen der Kirche" waren Fragen zu einer ganzheitlichen Ökologie. Seit 54 Jahren lebt der Vorarlberger in Brasilien und wurde Zeuge der jahrzehntelangen Regenwaldzerstörung, die nicht nur indigene Völker ihres Lebensraums beraubt, sondern auch fatale Auswirkungen auf das Weltklima hat. "Die Axt ist am Baum", sagte er in Vorarlberger Weise. Die Synode erklärte, dass die "Kirche ihr Potential ausnützen müsse für Gewissensbildung und Öffentlichkeitsarbeit - in allen Gemeinden, weltweit". Kräutler ist davon überzeugt, dass jeder Einzelne dazu beitragen kann, dass wir quasi mitschuldig sind, denn Wirtschaftsabläufe sind weltweit vernetzt. Es gehe darum, alles zu hinterfragen - woher es kommt, wie es produziert wird oder verpackt ist. Der Papst spreche von einer "ökologischen metanoia" - einer ökologischen Umkehr.

Die Fragen, die nach dem ersten Teil aus dem Publikum kamen, wurden von Kräutler in aller Offenheit beantwortet - oder, je nach Thema, offengelassen. Die Stimmung in der Kirche war ebenso locker, wie der Redende selbst, immer wieder kam es zu Zwischenapplausen. Am Ende des Gespräches ermöglichte eine kurze Schweigezeit, das Gehörte wirken zu lassen. Schließlich wurde Bischof Kräutler in minutenlangem Applaus und Standing Ovations verabschiedet. Sie waren wohl auch Zeichen der Dankbarkeit und des Respekts für sein lebenslanges, außergewöhnliches Engagement. Viele BesucherInnen folgten schließlich der Einladung in die Buchhandlung Arche, in der ein Glas Wein wartete, Bischof Kräutler seine Bücher signierte und sich auf so manche Plauderei einließ.

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Die Tagespost, 9.11.2019
Auswirkungen auf die ganze Kirche
Bischof Erwin Kräutler plädiert für die Weihe verheirateter Männer und Frauen, nicht nur in Amazonien.

Tief im Westen, hinter dem Arlberg, liegt Vorarlberg. Zumindest aus österreichischer Sicht. Hier, im „Ländle“, wie die Einheimischen ihr Bundesland nennen, hat Bischof Erwin Kräutler seine Wurzeln. Hier kennt der Amazonas-Bischof die Seinen, und die Seinen kennen ihn.

Für die Präsentation seines neuen Buchs „Erneuerung jetzt. Impulse zur Kirchenreform aus Amazonien“ ist die Buchhandlung Arche viel zu klein; man verlegt den Auftritt kurzerhand in die gegenüberliegende Seekapelle. In der Arche gewährt mir der Amazonas-Bischof ein Interview. „Es geht nicht um den Zölibat. Der wird nicht abgeschafft“, insistiert er. Aber: „Neben dem Zölibat soll es neue Zugänge zum Weihepriestertum geben. Gerade in Gegenden, wo wahnsinniger Priestermangel herrscht, so dass die Leute das ganze Jahr hindurch nicht eine Eucharistiefeier haben, ist es notwendig, dass wir neue Wege finden.“ Das sei „ein Sinn der Synode“ gewesen. „Es ging um neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie.“

„Diakoninnen wären der erste Schritt“
35 Jahre war der gebürtige Vorarlberger Bischof der Prälatur Xingu im Amazonas-Gebiet, bis 2016. „Wenn die Menschen weder an Weihnachten noch an Ostern noch an Pfingsten eine Eucharistiefeier haben, dann fehlt was. Die evangelikalen, pfingstlerischen Kirchen nützen das weidlich aus, weil wir einfach nicht da sind.“ Ein Rezept fand der Bischof in all den Jahrzehnten nicht. Außer die Forderung nach „personae probatae“, also nach der Weihe bewährter Männer und Frauen.

Verheiratete geweihte Männer wären ja nichts Neues, meint Kräutler mit Verweis auf die mit Rom unierten Ostkirchen. Die Weihe von Frauen wäre jedoch wider alle Tradition und das Ende der Ökumene mit der Orthodoxie, gebe ich zu bedenken. „Das ist eines der größten Probleme“, zeigt sich Kräutler nachdenklich. Doch er bleibt bei seiner Agenda: „Wir können das nicht von vornherein ausschließen. Es ist ein Prozess. Diakoninnen wären der erste Schritt.“

Richtig in Rage gerät der 80-jährige Bischof bei der Frage, ob er sich tatsächlich gebrüstet habe, nie einen Indio getauft zu haben: „Alles Blödsinn! Kompletter Unsinn! Ich habe vor Jahren gesagt, wir müssen schauen, dass es eine katholische Kirche mit indigenem Antlitz gibt. Es geht nicht darum, Indios zu taufen und zu denken, sie hörten damit auf, Indios zu sein und seien Christen.“ Ob er nun getauft habe oder nicht? „Aber natürlich. Tausende Indigene!“ Das Gerücht komme „aus einer bestimmten Ecke. Die machen mir das Leben manchmal zur Hölle.“

Kräutler erzählt vom Polizeischutz, den er in Brasilien seit 13 Jahren habe, von Angriffen auf ihn in Europa, „so brutal und teuflisch, wie ich es nie erwartet habe“. Ob das Zitat zur Taufe eine Fälschung sei? „Es ist total aus dem Zusammenhang gerissen. Ich würde das nie so sagen.“ Die Taufe ist und bleibt heilsrelevant? „Ja, klar! Sicher!“

"Haben Sie das jetzt verstanden?"
Kräutler signiert ein Buch, verabschiedet sich. „Haben Sie das jetzt verstanden?“, ruft er mir nach. Ja, hab ich. Drüben in der Seekapelle warten Einheimische, die ihren Bischof Erwin seit Jahrzehnten verstanden haben. Man kennt einander, und das schon lange, wie nicht nur der Altersdurchschnitt nahelegt. Kräutler kommt, Kniebeuge vor dem Tabernakel, Begrüßung in Vorarlberger Mundart, dann wechselt er ins Hochdeutsche. Der Amazonas-Bischof schildert Anfeindungen, Widerstände gegen seine Agenda und einen gut zuhörenden Papst.

Bei der Synode sei es um die klimaregulierende Funktion des Amazonasgebiets für den Planet Erde gegangen. Und um neue Wege für die Kirche: „Alte Wege müssen überarbeitet werden oder sind obsolet.“ Noch vor Weihnachten erwarte er das Nachsynodale Apostolische Schreiben des Papstes, so Kräutler. Der Abschlusstext der Synode sei „nicht exzellent, aber ziemlich gut“. Beim Frauen-Diakonat habe er mehr erwartet. Es seien ja mehrheitlich Frauen, die die Wortgottesdienste halten. „Warum kann eine solche Frau nicht zum Priestertum berufen werden?“ Der Amazonas-Bischof denkt nicht nur an Amazonien. Die Synode habe „Auswirkungen auf die ganze Kirche“. Auch in Österreich gebe es Priestermangel und „Blaulichtpriester“. Darum: „Es gibt gut vorbereitete Pastoralassistenten und -assistentinnen, die die Chance bekommen sollten.“ Allerdings geht es ihm bei der Forderung nach der Weihe von Frauen gar nicht um den Priestermangel: „Das ist eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit.“

Brutaler Angriff auf die indigenen Völker
Kräutler wirbt dafür, die „Ausdrucksformen der Indigenen in unsere Liturgie zu integrieren“. Etwa die Figur der Pachamama. „Es gibt Leute, die meinen, die Pachamama sei eine Göttin“, sagt er, um auf Rückfragen zu versichern, jene Katholiken, die die Figuren nach Rom gebracht haben, seien „weit davon entfernt, sie als Gottheit zu verehren“. Dieses „Symbol der Fruchtbarkeit“ in den Tiber zu werfen, sei „ein brutaler Angriff auf die indigenen Völker“ gewesen.

An diesem Abend in der Seekapelle zu Bregenz gibt es keine Widerworte gegen Bischof Kräutlers Forderungen nach einem amazonischen Ritus und nach „personae probatae“. Dafür stehende Ovationen und heimatliche Verbundenheit. „Griaß' dahoam“, ruft „der Erwin“, wie die Moderatorin den Bischof nennt, einem zu. Was er inhaltlich zu sagen hat, kennen die Seinen längst. An einer Stelle ist er nicht mehr sicher, ob es eine Formulierung von ihm oder von Paul Zulehner ist. „Ist ja egal!“, meint er.

Zulehner und Kräutler spielen einander die Bälle seit Jahren zu
Stimmt. Ist wirklich egal, denn Zulehner und Kräutler spielen einander die Bälle seit Jahren zu. Vor wenigen Tagen startete der gleichfalls in die Jahre gekommene emeritierte Wiener Pastoraltheologe eine Online-Petition „#Amazonien auch bei uns!“. Die Amazonas-Synode sei „ein historisches Ereignis für die Weltkirche“, das „in unsere Ortskirchen Bewegung bringen“ solle. Auch Zulehner fordert, dass „Personen, die sich in den Gemeinden bewährt haben und von diesen vorgeschlagen werden, über den Weg des Diakonats der Zugang zur Priesterweihe eröffnet“ werde. Das ist es, was Bischof Kräutler mit „personae probatae“ meint.