ORF.at, 1.12.2017
Bohrschiffe und Bohrinseln
Seit Jahren wird Brasiliens Politik- und
Wirtschafselite von einem riesigen Korruptionsskandal rund um den
halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras erschüttert - der im Vorjahr
mittelbar auch zur Absetzung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff
geführt hat. Mittendrin ist Odebrecht, einer von Südamerikas größten
Mischkonzernen und wichtiger Auftragnehmer von Petrobras.
Der Odebrecht-Konzern wiederum hat in Wien rund 20 Tochterfirmen
mit einem Milliardenvermögen. Unter anderem gehören den Firmen acht
Ölbohrschiffe und Bohrinseln. Aber Odebrecht zahlt in Österreich
praktisch keine und in Brasilien kaum Steuern. Das dürfte weitgehend
legal sein und wird durch ein Steuerabkommen aus den 70er Jahren
ermöglicht, wie Ö1 am Freitag berichtete - Audio dazu in
oe1.ORF.at.
Wiener Anwalt als Geschäftsführer
Ein
Wiener Anwalt ist Geschäftsführer von fast allen der rund 20
Odebrecht-Firmen in Österreich - gemeinsam mit einer brasilianischen
Finanz- und Steuerexpertin. Die Firmen - ihr Büro ist in unmittelbarer
Nähe der Industriellenvereinigung im Zentrum Wiens - beschäftigen in
Österreich rund 15 Mitarbeiter. Diese Firmen der OOG (Odebrecht Oil and
Gas) verwalten ein Milliardenvermögen. Das
Organigramm zeigt, dass die Firmen sich neben Österreich vor allem auf den Cayman-Inseln, in den Niederlanden und Großbritannien befinden.
Das
Firmengeflecht ist kompliziert, denn die in Wien im Handelsregister
eingetragenen Firmen haben ihrerseits wieder Tochterfirmen - etwa in
Spanien, Angola und Peru. Außerdem gehören den Firmen acht Bohrschiffe
und Bohrinseln, die vor der brasilianischen Küste nach Öl bohren und
laut den Jahresabschlüssen im österreichischen Firmenregister jeweils
mehr als eine halbe Milliarde Euro wert sind. Odebrecht least und
vermietet diese Bohrschiffe an den brasilianischen Ölkonzern Petrobras.
Altes Steuerabkommen
Der
Firmenstandort Österreich wurde gewählt, weil solche Mieten für
gewerbliche Ausrüstung in einem veralteten Abkommen zwischen Österreich
und Brasilien steuerlich begünstigt werden. In diesem Abkommen zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung wird angenommen, dass solche
Mietzahlungen in Brasilien mit 25 Prozent besteuert werden - und diese
rein fiktiven 25 Prozent werden in Österreich abgezogen, erklärt der
Steuerberater und Finanzrechtsexperte Bernhard Vanas.
Die Folge,
so Vanas gegenüber Ö1: „Dann fällt in Österreich gar keine Steuer mehr
an. Denn in Österreich ist der Steuersatz nicht höher als 25 Prozent,
und wenn 25 Prozent ausländische Steuer anzurechen sind, dann bleibt für
österreichische Steuern kein Raum mehr.“ Die meisten Firmen müssten nur
1.750 Euro Mindestkörperschaftssteuer pro Jahr zahlen in Österreich -
seit 2008, da wurden die ersten Odebrecht Firmen in Wien gegründet.
Experte: Transparent, aber wie Steueroase
Dabei
werden Ölbohrfirmen in Brasilien laut Vanas ohnehin praktisch nicht
besteuert: „Wenn die Brasilianer ihr Besteuerungsrecht nicht wahrnehmen,
freiwillig verzichten und in der Öl- und Gasindustrie keine
Quellensteuer einheben, dann fällt keine brasilianische Quellensteuer an
und keine österreichische Körperschaftssteuer, und dann ist es
tatsächlich steuerfrei.“
Österreich habe „hier eine Funktion, die -
das fällt mir schwer zu sagen, aber - ähnlich einer Steueroase ist.“ Es
sei allerdings transparent, und „die wahre Begünstigung steht
eigentlich in einem brasilianischen Gesetz, nicht in einem
österreichischen“, so Vanas. Davon profitiert haben Odebrecht und die
halbstaatliche Petrobras.
Den Vorteil des Standorts Wien für
brasilianische Unternehmen mit dem Doppelbesteuerungsabkommen bestätigte
am Freitag auch eine Mitarbeiterin der Banco do Brasil gegenüber dem
Ö1-Mittagsjournal. Die Wiener Banco d Brasil Aktiengesellschaft hat
Tochterfirmen in Irland und Portugal und Zweigniederlassungen in
Spanien, Frankreich und Italien.
Über die tatsächliche Höhe der
Besteuerung in Brasilien und die mögliche Gesamtsteuerersparnis wollte
die Banco do Brasil AG keine Auskunft geben. In Salzburg hat einer der
größten Bergbaukonzerne der Welt, Vale S.A. bzw. Vale do Rio, eine
Holding - mit 16 Tochterfirmen in zahlreichen Staaten. Ihr Wert wird mit
16 Mrd. Euro beziffert. Welche steuerlichen Vorteile sich durch den
Standort Österreich genau ergeben, dazu will die Geschäftsführung keinen
Kommentar abgeben - sie schreibt nur, dass Vale bei der Standortauswahl
einen hohen Integritätsanspruch habe.
Mittlerweile offenbar andere Rechtslage
Laut
dem Wiener Odebrecht-Geschäftsführer und Anwalt Paul Doralt hat sich
2014 aber die Rechtslage in Brasilien geändert. Mittlerweile würden auch
nicht ausgeschüttete Auslandsgewinne dort sofort besteuert. Aber
Gewinne und Gewinnsteuern gebe es bei Odebrecht ohnehin keine mehr. Das
liegt an den Folgen des Odebrecht-Korruptionsskandals. So soll der
Konzern 2,6 Milliarden Dollar (2,2 Mrd. Euro) Strafe zahlen. Es gibt
mittlerweile Geständnisse von Odebrecht-Managern, wonach der Konzern
rund 800 Millionen Dollar Schmiergeld an Regierungsvertreter und
Parteien auf drei Kontinenten gezahlt habe, um Bauaufträge zu bekommen.
Auch
hier gibt es laut ZIB-Recherchen eine Österreich-Tangente: Laut
brasilianischen Kronzeugen floss über die Meinl Bank Antigua, eine
frühere Meinl-Bank-Tochter in der Karibik, ein großer Teil des
Schmiergeldes. Dazu laufen Geldwäscheermittlungen der
Korruptionsstaatsanwaltschaft. Mit den Odebrecht-Firmen in Österreich
habe das aber nichts zu tun, so Geschäftsführer Doralt.
Ministerium möchte Änderung
Das
Finanzministerium betonte auf Nachfrage, man wolle das veraltete
Doppelbesteuerungsabkommen aus dem Jahr 1976 abändern und bemühe sich
seit dem Vorjahr um Verhandlungen mit Brasilien. Zuletzt habe Brasilien
Gesprächsbereitschaft signalisiert. Das Abkommen einfach aufzukündigen
hätte laut Ministerium negative Auswirkungen für laut Wirtschaftskammer
1.000 österreichische Firmen, die nach Brasilien exportieren, und 250
Tochterfirmen in Brasilien.
Aus dem brasilianischen
Finanzministerium hieß es, Tochtergesellschaften in Österreich würden
nicht als negativ gelten, wenn es hier einen tatsächlichen
Geschäftszweck und eine Betriebsstätte gibt. Missbrauchsfälle und
Steuerumgehungsmaßnahmen würden in Verwaltungssverfahren geprüft. Eine
neue Gesetzeslage in Brasilien dürfte das Ausnützen des
Steuerschlupflochs auch etwas erschweren.
Der Grundgedanke des
Abkommens war übrigens Entwicklungshilfe für Brasilien.
Entwicklungshilfe hatte der weltweit tätige Odebrecht-Konzern freilich
wohl nie wirklich nötig. Und der Ölkonzern Petrobras scheint auf dem
Rückzug aus Österreich zu sein. Seine Firmen werden im Firmenregister
als gelöscht angezeigt - ebenso Tochterfirmen des
brasilianisch-argentinischen Agrarkonzerns El Tejar, die auch in den
Paradise-Papers vorkommen.