Donnerstag, 7. Juli 2016

Langzeitstudie über den Staudammbau im Amazonasgebiet


Junge Welt, 5.7.2016
Korruption und Wahn
Martin Keßler schließt seine Langzeitstudie über den Staudammbau im Amazonasgebiet ab – heute ist die Filmpremiere in Frankfurt am Main

Dieser Dokumentarfilm mutet an wie ein Drama: »Countdown am Xingu V« von Martin Keßler. Es ist der fünfte und vorläufig letzte Teil einer Langzeitbeobachtung der Kämpfe brasilianischer Indigener gegen den Bau des Megastaudamms Belo Monte seit 2009.

Der Staudamm in der Nähe der kleinen Stadt Altamira ist mittlerweile fertiggestellt, viele Menschen dort haben alles verloren. Nun bleibt zu beschreiben, wie brutal die Globalisierung des Kapitals funktioniert. Dazu ist Keßler noch einmal um den Erdball gereist. In seinem neuen Film präsentiert er zum einen Manager in grauen Anzügen, die selbstverliebt Reden über »saubere Energien« halten – im wohlsituierten Deutschland, wo multinationale Konzerne satte Gewinne einfahren. Zum Beispiel, wenn sie wie Siemens Turbinen für den »Staudammwahn« liefern, wie der brasilianische Bischof Erwin Kräutler diese Geschäfte nennt.

Zum anderen zeigt Keßler, wie in Brasilien die Menschen, die in seinen früheren Filmen als ebenso hoffnungsfrohe wie energische Demonstranten auftauchten, nun aufgeben haben. Es werden keine Straßen mehr besetzt und Baustopps erwirkt. In ihrer einst idyllischen Amazonasgegend machen sich Resignation und Armut breit. Was hierzulande als »sauber« gepriesen wird, ist dort schmutzige Realität: bombastische Industrieanlagen, überflutete Dörfer, vertriebene Menschen. Vorbei die Zeit beschaulicher Sonnenuntergänge nach getaner Arbeit; der Urwald wird unter gewaltigem Baulärm gerodet, ganze Inseln werden versenkt. Anwohner finden sich in Siedlungen mit ein paar Hühnern in staubig-trockenen Hinterhöfen oder in verschlammten Ghettos wieder. Bei Regen droht Überschwemmung. Die versprochene Entschädigung bleibt aus. Allgegenwärtig sind Betrug und Korruption und vor allem die Ignoranz gegenüber rechtsstaatlichen Gerichtsurteilen: Wer Geld hat, kann sich alles erlauben. Ausgerechnet die linke brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff hat den Staudamm Belo Monte im Mai offiziell eingeweiht, bevor sie im korrupten Staat weggeputscht wurde.

Nächsten Monat beginnen die Olympischen Spiele in den Stadien von Rio. Von deren Neu- und Umbauten profitieren dieselben brasilianischen Baukonzerne, die auch Belo Monte errichtet haben. Der Kreis schließt sich. An Superreiche und Korrupte wurde großzügig verteilt; zugleich wird der finanzielle Notstand ausgerufen, für Polizei und Krankenhäuser ist kein Geld mehr da.

Für Belo Monte wurden 40.000 Menschen zwangsumgesiedelt, 30.000 waren in der Hochphase beim Bau des Staudamms angestellt; jetzt sind 20.000 entlassen. »Ohne Korruption wäre Belo Monte nicht gebaut worden«, sagt Bischof Kräutler. »Sie haben Altamira zur gewalttätigen Stadt gemacht; mit ihnen tobt das Chaos.« Mit der Arbeitslosigkeit steigt die Kriminalität. »Man nennt uns Drogendealer und Diebe«, sagt einer der jungen Männer im Film lakonisch.

Keßler macht deutlich, dass die multinationalen Konzerne sich, wo immer es geht, mit ihren Maschinen durch zuvor unberührte Landschaften wälzen: ob sie Staudämme und Wasserkraftwerke betreiben oder Fracking, um Erdgas zu fördern – um Energiegewinnung geht es weniger, in erster Linie ums schnelle Geld.

Martin Keßler reist mit seinem Film durch die Republik. Aus vergangenen Kämpfen gilt es zu lernen. Der Konflikt geht weiter am Fluss Tapajos, wo der Stamm der Munduruku gegen weitere Großstaudämme kämpft.


„Count Down am Xingu V“ (Kurzversion 25 min, 2016)

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