Brasilien: Gedenkmesse für Dorothy Stang
Amazonas-Bischof Erwin Kräutler hat zum 20. Jahrestag der Ermordung von Schwester Dorothy Stang an die visionäre Weitsicht der US-Ordensfrau und ihr unermüdliches Engagement für den Schutz des Amazonasgebietes erinnert.
VaticanNews, 14.2.2025
Zum 20. Jahrestag der Ermordung von Schwester Dorothy Stang SNDIch erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, an den Schmerz, der mein Herz überfiel, als ich per Telefon die Nachricht von der Ermordung von Schwester Dorothy im Landesinneren von Anapu erhielt.
Ich erinnere mich an die heilige Messe mit dem anwesenden Leichnam, die ich in der Kirche der Unbefleckten Empfängnis in Altamira feierte. Niemals werde ich die Gesichter der Menschen vergessen, die daran teilnahmen. Männer und Frauen, bestürzt, erstaunt, entsetzt, unfähig zu glauben, was geschehen war, unfähig, all diese Grausamkeit zu verstehen.
Ich erinnere mich an das Requiem in Anapu, an der viele Politiker teilnahmen, darunter der Gouverneur von Acre, Jorge Viana, ein Sondergesandter in Vertretung des Präsidenten der Republik. Ich erinnere mich an Senator Eduardo Suplicy, der vor dem mit der brasilianischen Flagge bedeckten Sarg stand und sang „Die Antwort, mein Freund, weht im Wind“. Ich schluchzte und weinte bis zum heutigen Tag, weil es keine überzeugende Antwort gibt und auch nie geben wird!
Noch mehr erinnere ich mich an den Trauerzug zu dem Ort, an dem wir Dorothy begraben haben. Die Politiker waren bereits gegangen. Zurück blieben die einfachen, bescheidenen Menschen, die „anawim“ (die Armen Gottes) von Anapu, die schweigend gingen oder den Rosenkranz beteten.
Diese ganze tragische Geschichte ist heute, am 12. Februar 2025, zwanzig Jahre alt. Ich möchte nicht nur an die Vergangenheit erinnern. Ich möchte ein Porträt dieser Märtyrerschwester zeichnen, die viele von uns kannten oder mit ihr zusammenlebten.
Sie sagte mir ohne Umschweife: „Ich möchte unter den Ärmsten der Armen arbeiten“. Ich antwortete ihr, dass ihr Wunsch zwar sehr edel, aber nicht so leicht zu verwirklichen sei. Ich kannte die Zustände an der Transamazônica-Straße. Anapu war noch keine Gemeinde (sie wurde erst am 1. Januar 1997 gegründet). In den 1980er Jahren war die Armut, die dort herrschte, ein echtes „Elend“: Malaria, Hunger, Gewalt, mangelnde Unterstützung und fehlende Transportmöglichkeiten waren nur einige der Lebensumstände derjenigen, die dort ankamen und glaubten, ein neues Eldorado zu finden. Dorothy bat mich einfach: „Bitte lass es mich ausprobieren!“. Und sie „ durchlebte “ dieses Leben mit den Armen bis zu dem schicksalhaften Tag des 12. Februar 2005, als sie um halb acht Uhr morgens brutal ermordet wurde.
Ein zweites Merkmal von Schwester Dorothy ist ihre hingebungsvolle Liebe „zu unserem Volk“. Sie wurde in den Vereinigten Staaten geboren und kam als Missionarin nach Brasilien. Wenn sie von den Menschen an der Transamazônica-Straße sprach, benutzte sie immer den Ausdruck „unser Volk“. Ich hatte das Privileg, an ihrem letzten Interview mit Carlos Mendes von O Liberal am 2. Februar 2005 in der Casa dos Padres in Altamira teilzunehmen. Der Journalist riet ihr: „Ich glaube, Sie sollten vorsichtiger sein!“ Und was antwortete die Schwester? „Ich vertraue ganz auf Gott und weiß, dass er mit mir ist. Aber ich spreche lieber über das Leben und nicht über den Tod. Unser Volk hat mit den PDS (Projekte der nachhaltigen Entwicklung) Programme für ein besseres Leben. Ich habe keine Zeit, über schlechte Dinge nachzudenken. Aber wenn sie mich töten, würde ich gerne hier in Anapu begraben werden, bei diesen bescheidenen Leuten. Pará ist mein Land."
Eine dritte Beobachtung betrifft ihren prophetischen Charakter und ihre Spiritualität, die alle begeisterten, die sie kannten. Schwester Dorothy liebte die Armen, aber sie liebte auch die Erde, die Gott geschaffen hat, unser „gemeinsames Haus“, das stöhnt und um Mitgefühl bittet, weil es immer wieder angegriffen und verletzt wird, wie die bedrohte die Flora und Fauna des Amazoniens. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren sah Schwester Dorothy die katastrophalen Folgen für das Ökosystem voraus, die uns heute im Amazonasgebiet erschrecken: anhaltende Dürren, Flüsse ohne Wasser, übermäßige Hitze, Städte und Dörfer, die von Brandrauch verseucht sind, der vor allem bei Kindern und älteren Menschen zu Atemwegsbeschwerden führt.
Hinter all dem Engagement von Schwester Dorothy stand eine tiefe Mystik und Spiritualität, die sie aus ihrer Ordensgemeinschaft bezog, die von der heiligen Julia Billiart, einer Tochter armer Bauern in Frankreich, gegründet wurde. Auf ihrem 18. Kapitel im Jahr 2021 umrissen die Schwestern von Notre Dame de Namur ihre Spiritualität mit folgenden Worten: „Unsere Leidenschaft für die Mission entspringt unserem Glauben an die Güte Gottes, der Vater-Mutter, der in unserer Mitte lebendig und aktiv ist. Wir glauben, dass die Macht Gottes durch unsere Schwäche wirkt. Wir sind berufen, neue Samen der Hoffnung und der Einheit, der Integration und der Zugehörigkeit, der Einladung, des Willkommens und des Dialogs in der ganzen Welt zu säen.“ Gott sei gepriesen! Amen.
Anapu am 12. Februar 2025
Dom Erwin Kräutler
emeritierter Bischof am Xingu
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Brasilien: Gedenken an vor 20 Jahren ermordete Ordensfrau Stang
Bischof Kräutler leitet Gedenkzeremonie am Grab der US-Missionarin, die als Vorkämpferin in Brasilien für Rechte der landlosen Kleinbauern und für den Umweltschutz galt - Landraub und Straflosigkeit weiter großes Problem in der Region
Brasilia, 12.02.2025 (KAP) Genau 20 Jahre nach der Ermordung der Ordensfrau Dorothy Stang wird an ihrem Einsatzort im brasilianischen Amazonas sowie auch weltweit an die Vorkämpferin der Landlosen-Bewegung erinnert. Für Mittwoch (Ortszeit) war an ihrem Grab in der im Bundesstaat Para gelegenen Stadt Anapu eine Gedenkfeier mit Bischof Erwin Kräutler geplant, geht aus einem Bericht der Plattform "reporterbrasil.org.br" hervor, in ihrer Heimat USA wird wie jedes Jahr der "Dorothy-Stang-Tag" gefeiert, im Rom gab es bereits vor einem Monat eine Mahnwache zu ihrem Gedenken.
Stang war die engste Mitarbeiterin Kräutlers, der nach ihrer Ermordung am 12. Februar 2005 auch das Begräbnis leitete. "Niemand hat größere Liebe, als der sein Leben für seine Freunde hingibt. Dorothy hat ihr Leben gegeben. Sie hat das kraftvollste Zeugnis ihrer Liebe abgelegt: Sie hat ihr Blut vergossen", sagte Kräutler damals. Der aus Vorarlberg stammende Langzeit-Bischof der Amazonas-Diözese Xingu war wegen seines Einsatzes auch selbst ständigen Bedrohungen ausgesetzt und lebt in seiner brasilianischen Wahlheimat seit Jahren unter ständigem Polizeischutz.
Dorothy Stang, 1931 in Ohio geboren, hatte sich ab 1966 für die Rechte von Brasiliens Kleinbauern und für den Umweltschutz eingesetzt, insbesondere gegen die illegale Abholzung des Regenwaldes. Sie lebte und arbeitete in der Kleinstadt Anapú, einer abgelegenen Siedlung, in der sie sich mit anderen Ordensschwestern für die landlosen Bauern starkmachte. Ihr Engagement, Landrechte für die Armen einzufordern und ökologische Landwirtschaft zu fördern, brachte sie immer wieder in Konflikt mit Großgrundbesitzern und Holzfällern, die das Land für sich beanspruchten. Diese Kräfte sahen in Stang, deren "Projekte für nachhaltige Entwicklungen" (PDS) Waldschutz mit nachhaltiger Landwirtschaft verbanden, eine Bedrohung und versuchten sie einzuschüchtern.
Am Tag ihrer Ermordung war die damals 73-Jährige auf dem Weg zu einer neuen Siedlung und wurde von Auftragsmördern erschossen. Zeugen berichteten, dass sie ihren Mördern noch aus der Bergpredigt den Satz "Selig sind, die arm im Geiste sind, denn ihnen gehört das Himmelreich" (Matthäus 5,3) vorgelesen habe, bevor sie von sechs Schüssen getroffen zu Boden sank. Die Mörder und deren Auftraggeber wurden zwar verurteilt, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen.
Landraub hält an
Der Kampf um Landrechte und den Schutz des Amazonasgebiets in der Region dauert weiter an, denn der Landraub und die Abholzung setzen sich fort. Die Fläche der PDS-Gebiete, die von der Agrarindustrie besetzt wurden, stieg laut Angaben der Agentur Publica zwischen 2005 und 2023 von 4,38 auf 22,27 Prozent. Der Kommission für Landpastoral (CPT) zufolge wurden in dieser Zeit mindestens 21 weitere Menschen in Anapu in Landkonflikten getötet, deren Namen auf einem roten Kreuz auf Dorothy Stangs Grab eingraviert sind. Nur drei Fälle kamen vor Gericht, wobei es auch bei diesen zu zwei Freisprüchen kam.
Wie Agencia Publica berichtet, hat sich die Gewalt in den letzten Jahren verlagert: Anstatt Morde zu begehen, greifen die Täter zunehmend auf Drohungen, Zerstörungen und gerichtliche Verfolgung von Landaktivisten zurück. Selbst Geistliche wie Padre Amaro Lopes de Souza, der als Nachfolger von Dorothy Stang gilt, wurden kriminalisiert und mussten Anapu verlassen. Lokale Aktivisten und Missionarinnen setzen sich weiterhin für den Schutz von Landrechten und eine nachhaltige Agrarreform ein - trotz anhaltender Bedrohung. Von dieser ist auch das Weitertragen des Erbes von Sr. Dorothy betroffen, wurde doch eine Gedenktafel für sie und die anderen Opfer mehrfach zerstört, aber von der Gemeinschaft immer wieder erneuert.
Streit um Wandgemälde
Der Kampf um Stangs Erbe reicht bis in den kirchlichen Bereich: Ein Gemälde in der Santa-Lucia-Kirche von Anapu zeigt Jesus als Landarbeiter, der in schlichte Kleidung mit Strohhut auf einem Baum gekreuzigt wurde, ihm zur Seite Dorothy Stang und Pater Josimo Tavares, der 1986 ebenfalls für seine Tätigkeit in der Landlosen-Bewegung nach Drohungen durch Großlandbesitzer ermordet wurde. Gegen das Wandbild gab es laut "reporterbrasil.org.br" einzelne Einsprüche, worauf es verhängt worden sei. Bischof Kräutlers Nachfolger in Xingu, Dom Frei João Muniz Alves, verfügte nach Protesten, das Gemälde müsse wieder dauerhaft sichtbar gemacht werden. Stang sei ein "Symbol dieser Region" und eine "mystische Kraft", so der Bischof am vergangenen Sonntag (9. Februar) bei seiner Predigt zur Eröffnung des Jubiläumsjahres der 2019 als Teil der vormaligen Prälatur Xingu hervorgegangenen Diözese Altamira.
In ihrer US-Heimat Ohio wurde an Stang am Mittwoch mit einer Gedenkausstellung und einem Gottesdienst erinnert, in Europa unter anderem an der Universität Cambridge, wo das Emmanuel College in der Vorwoche die jährliche Dorothy-Stang-Vorlesung veranstaltete. Studierende waren zuvor nach Rom gereist und hatten Stang dort in der Basilika und Gedenkstätte San Bartolomeo all'Isola auf der Tiberinsel als "Moderne Märtyrerin des amerikanischen Kontinents" gewürdigt. Besonders die Hartnäckigkeit des Einsatzes der Ordensfrau in der Umweltbewegung wurde dabei hervorgehoben.
Kräutler: Sr. Dorothy Stang sah Folgen der Amazonas-Zerstörung voraus
Amazonas-Bischof würdigt bei Gedenkmesse in Brasilien vor 20 Jahren ermordete US-Ordensfrau als "moderne Prophetin"
Amazonas-Bischof Erwin Kräutler hat zum 20. Jahrestag der Ermordung von Sr. Dorothy Stang an die visionäre Weitsicht der US-Ordensfrau und ihr unermüdliches Engagement für den Schutz des Amazonasgebietes erinnert. Die Missionarin der Schwestern von Notre Dame de Namur habe bereits in den 1980er und 1990er Jahren als "moderne Prophetin" die dramatischen ökologischen und sozialen Folgen der Abholzung und Umweltzerstörung in der Region vorausgesehen, sagte der 85-jährige emeritierte Bischof der inzwischen zur Diözese erhobenen Prälatur Xingu am Mittwoch bei der Gedenkmesse im brasilianischen Anapu.
Kräutler erinnerte in seiner Predigt, dass Stang 1982 in die Bezirkshauptstadt Altamira im Bundesstaat Para gekommen sei, um "mit den Ärmsten der Armen" zu leben. Damals seien die Probleme an der Transamazonica-Ost vor allem Malaria, Hunger und Gewalt gewesen. Schon früh habe die US-Missionsschwester ihren hingebungsvollen Kampf für die Rechte der Landbevölkerung und gegen den Raubbau an der Natur durch illegale Holzfäller und Großgrundbesitzer aufgenommen.
"Schwester Dorothy liebte die Armen, aber sie liebte auch unsere Mit-Welt, die Gott geschaffen hat, unser 'gemeinsames Haus', das stöhnt und um Erbarmen fleht, weil es angegriffen und misshandelt wird", sagte der aus Vorarlberg stammende Bischof, dessen engste Mitarbeiterin Stang war und deren Begräbnis er im Februar 2005 geleitet hatte. Stang habe den Zusammenhang zwischen sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz bereits klar erkannt und bleibe durch ihren Einsatz eine Inspiration bis heute.
Bereits Jahre vor ihrem Tod habe Stang vor den Veränderungen gewarnt, die sich heute im Amazonasgebiet zeigen: extreme Dürreperioden, Wasserknappheit in den Flüssen, zunehmende Hitze und die gesundheitlichen Folgen von Bränden und Rodungen. Die Ordensfrau habe vorhergesehen, dass die rücksichtslose Ausbeutung der Natur nicht nur das Ökosystem, sondern auch die Lebensgrundlage der ärmsten Menschen zerstören würde, so Kräutler.
Der Bischof erinnerte in seiner Predigt auch an Stangs letztes Interview, das die Ordensfrau zehn Tage vor ihrer brutalen Ermordung in Altamira gegeben habe; auch er selbst sei dabei anwesend gewesen. Als der Journalist ihr zu Vorsicht riet, erwiderte sie: "Ich vertraue ganz auf Gott und weiß, dass er mit mir ist. Aber ich spreche lieber über das Leben als über den Tod."
Leben für den Amazonas
Dorothy Stang, 1931 in Ohio geboren, hatte sich ab 1966 für die Rechte von Brasiliens Kleinbauern und für den Umweltschutz eingesetzt, insbesondere gegen die illegale Abholzung des Regenwaldes. Ab 1982 lebte und arbeitete sie in der Kleinstadt Anapu, wo sie sich mit anderen Ordensschwestern für die landlosen Bauern starkmachte. In ihren "Projekten für nachhaltige Entwicklungen" (PDS) verband sie Waldschutz mit nachhaltiger Landwirtschaft. Den Großgrundbesitzern war sie damit ein Dorn im Auge, weshalb es mehrfache Drohungen und Einschüchterungsversuche gab.
Am Tag ihrer Ermordung war die damals 73-Jährige auf dem Weg zu einer neuen Siedlung und wurde von Auftragsmördern erschossen. Die Mörder und deren Auftraggeber wurden zwar verurteilt, jedoch nach kurzer Zeit wieder freigelassen. Der Kampf um Landrechte und den Schutz des Amazonasgebiets in der Region dauert weiter an, denn der Landraub und die Abholzung setzen sich fort, weiterhin verbunden mit Gewalt und Drohungen.
Kathpress, 14.02.2025