Freitag, 28. Dezember 2012

Zwei Vertreter der Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB) hoffen auf Mäßigung beim Energiehunger

Wiener Zeitung, 27.12.2012

"Belo Monte ist Teil eines Plans"


Brasilia/Wien. Durch das Projekt Belo Monte will die brasilianische Regierung elektrische Energie aus Wasserkraft am Fluss Xingu, einem Seitenfluss des Amazonas, gewinnen. Mit einer Leistung von mehr als elf Gigawatt soll Belo Monte eines der weltweit größten Wasserkraftwerke werden. Betreiber und Investoren (staatliche als auch private) haben sich zum Konsortium Norte Energia SA zusammengeschlossen. Als Zulieferer ist auch der österreichische Anlagenbauer Andritz beteiligt.

NGOs kritisieren Belo Monte heftig: 500 Quadratkilometer sollen geflutet, geschätzte 40.000 Menschen umgesiedelt werden, zudem drohe das Ökosystem der Region zusammenzubrechen. Damit werde Indigenen die Lebensgrundlage genommen.

Der Priester Antônio Claret Fernandes und der Agraringenieur Leonardo Bauer Maggi, beide von der brasilienweiten Bewegung von Staudammbetroffenen (Movimento dos Atingidos por Barragens - MAB), waren auf Einladung der Dreikönigsaktion der katholischen Jungschar in Wien.

"Wiener Zeitung":Wie sieht die Lage vor Ort aus? Wie weit sind die Bauarbeiten fortgeschritten?


Antonio Claret Fernandes: Vor ein paar Monaten wurde gerichtlich ein Baustopp verhängt, über den der Oberste Gerichtshof dann leider wieder hinweg entschieden hat. Dahinter steckt der Druck der internationalen Konzerne. Es wurde bereits mit dem Bau des ersten Kanals begonnen. Die negativen Umweltauswirkungen sind schon sichtbar: Der Wasserstand im Fluss ist bereits gesunken.

Wie steht es um die Menschen im Umfeld von Belo Monte?

Claret: Es leben dort viele Kleinfischer, Indigene und viele Kleinbäuerinnen, aber auch die städtische Bevölkerung der Stadt Altamira. Sie haben mit großen Sorgen zu kämpfen. Laut Baukalender soll der Stausee 2014 fertiggestellt sein. Die Menschen, deren Land bald überschwemmt wird, wissen nicht, wohin sie gehen sollen. Ihre Rechte sind in keiner Weise garantiert.

Wie schätzen Sie die Zukunft des Projekts ein?

Claret: Wir befürchten, dass es nicht mehr zu stoppen ist. Trotzdem werden wir weiter kämpfen. Denn Belo Monte ist bei weitem nicht das einzige Kraftwerk, das im Amazonasgebiet gebaut wird. Es ist nur ein Teil eines ganzen Plans, der viele neue Staudämme umfasst.

Von den beteiligten Unternehmen wie zum Beispiel Norte Energia wurden immer wieder Versprechungen über Verbesserungen geäußert. Wurden die eingelöst?

Claret: Das ist eine typische Strategie der Unternehmen. Auf der einen Seite gibt es Versprechungen, auf der anderen Seite die Realität. Und die Realität ist, die Versprechen werden nie erfüllt.

Wie gefährlich ist es, Widerstand zu leisten?

Leonardo Bauer Maggi: Man muss sich nur Bischof Erwin Kräutler ansehen, der permanent von vier Polizisten begleitet wird - zu seinem eigenen Schutz. Demokratischer Widerstand oder die Aktionen von Basisbewegungen werden kriminalisiert. Ungefähr seit 2005 ist das die Strategie, die von staatlicher Seite und auch von Unternehmen angewendet wird und unter der die Organisation der Staudammbetroffenen und auch andere NGOs leiden. Derzeit vertritt unser Anwälte-Team rund 260 Leute aus unserer Bewegung vor Gericht.

Für wen soll die Energie in Belo Monte produziert werden?

Bauer: 80 Prozent der Energie soll in den Bundesstaaten Sao Paulo, Minas Gerais und Rio de Janeiro verwendet werden, dort, wo die Metallindustrie ansässig ist und die natürlich sehr viel Energie braucht. Jetzt steht ein zweites Unheil an: Die viele Energie geht an Bergbauunternehmen, die nicht gerade auf umweltverträgliche Art und Weise arbeiten. Ich erinnere nur an den Tucurui Damm, das erste Großprojekt im Regenwald. 25 Jahre, nachdem dieses Wasserkraftwerk errichtet wurde, sind 6000 Personen, die dort Land und Lebensgrundlage verloren haben, noch immer ohne Strom. Die ganze Energie geht an ein US-amerikanisches und ein kanadisches Unternehmen.

Wie könnte ein alternatives Energiekonzept für die Region aussehen?

Claret: Der gesamte Energiesektor ist zentralistisch organisiert. Es besteht keine Möglichkeit zur Teilhabe. Die staatlichen Studien zu Energiefragen strengen keine strategischen Überlegungen an, sondern bestimmen nur Orte, an denen noch weitere Wasserkraftwerke möglich sind. Dieses Spiel könnte man endlos weiterspielen. Es gibt noch sehr viele weitere Flüsse in Brasilien. Man kann immer mehr Kraftwerke bauen und immer mehr Energie gewinnen, aber es wird nie genug sein. Wir müssen eine andere Haltung einnehmen. Boden, Wald, Energie, alles, was die Natur des Landes zu bieten hat, muss den Menschen zur Verfügung stehen und sie müssen souverän darüber verfügen können. Es ist wichtig, nie müde zu werden zu fragen: Für wen wird diese Energie produziert und wofür?

Was erwarten Sie sich von europäischen Regierungsvertretern, speziell aus Ländern mit ansässigen Investoren? Stichwort: Andritz.

Claret: Viele Regierungsvertreter lassen sich gerne mit den Indigenen vor Ort ablichten und versprechen Unterstützung. Das macht sich immer gut auf Fotos. Das ist ganz klar eine Instrumentalisierung von Indigenen. Man stellt sie hin und sagt, die singen und tanzen aber schön, aber sie werden nicht als Volk gesehen, das Rechte hat, die hier ganz klar verletzt werden. Bei solchen Staudämmen sieht man, wie stark Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung beteiligt sind. Was wir uns von Europa erwarten, ist, dass ein Minimum existierender gesetzlicher Auflagen eingehalten wird. Wir sehen, dass es hier jetzt eine Krise gibt. Hier in Europa gibt es für Unternehmen aber trotzdem starke Auflagen und Bedingungen. Die Erfüllung ist natürlich auch schwierig und kostet Geld. Deswegen ist es für sie eben einfacher, woanders hinzugehen, wo die Bedingungen scheinbar lockerer sind.

Darüber hinaus streben wir eine Gesellschaft an, in der es transnationalen Unternehmen nicht möglich ist, sich einfach unserer Ressourcen zu bedienen. Wir brauchen eine viel menschlichere Sichtweise, in der die Ressourcen der Natur für die Menschen da sind, die dort leben.

Zu den Personen

Antonio Claret Fernandes: Der Priester aus dem Bundesstaat Minas Gerais arbeitet seit einem Jahr bei Bischof Erwin Kräutler in Xingu. Padre Claret ist Vorstandsmitglied von MAB.

Leonardo Bauer Maggi: Der Agraringenieur aus dem Bundesstaat Rio Grande do Sul ist seit dem Jahr 2000 in den sozialen Bewegungen MAB und Via Campesina aktiv.