Freitag, 19. Juni 2015

Bischof Kräutler traut der Umweltenzyklika "bahnbrechende Wirkung" zu

Amazonas-Bischof Erwin Kräutler
"Die Enzyklika hat sicher eine bahnbrechende Wirkung"
Düsseldorf. Er gilt als "Öko-Flüsterer" des Papstes: Amazonas-Bischof Erwin Kräutler ist Mitautor der an diesem Donnerstag im Vatikan veröffentlichten Umweltenzyklika. Er rechnet mit einer bahnbrechenden Wirkung. Die gefährlichen Folgen des Klimawandels erlebt er in Brasilien hautnah mit. Von Lothar Schröder

Wussten Sie vom Thema der Enzyklika und hatte Papst Franziskus Sie bei der Niederschrift hinzugezogen

Kräutler: Papst Franziskus hat mich am 4. April 2014 in Privataudienz empfangen. Ich war bei ihm als Präsident des Rates für Indigene Völker der Brasilianischen Bischofskonferenz und als Sekretär der Bischöflichen Kommission für Amazonien. Bei dieser Begegnung erzählte ich dem Papst von der Zerstörung Amazoniens und den bedrohten Indigenen Völkern, worauf er mir mitteilte, dass er daran denke eine Öko-Enzyklika zu schreiben und bereits Kardinal Turkson beauftragt habe, ein Arbeitspapier zu erstellen. Ich habe dann Papst Franziskus schlicht gebeten, Amazonien und die indigenen Völker in einer Öko-Enzyklika nicht zu vergessen und habe in der Folge dem Kardinal Turkson auf dessen Ersuchen und aufgrund der päpstlichen Empfehlung einige kurz gefasste Vorschläge geschickt. Das war auch schon alles.

Wie groß konnten Sie mit Ihrer Sachkenntnis beratend Einfluss nehmen?

Kräutler: Ich habe getan, was von mir erwartet wurde, nämlich die Situation Amazoniens und der Indigenen Völker zur Sprache gebracht. Die Zerstörung Amazoniens hat weltweite Folgen. Wissenschaftler haben längst auf die klimaregulierende Funktion Amazoniens hingewiesen. Die Indigenen Völker aber überleben nur in ihrer Mit-Welt.

Was erhoffen Sie sich von der Enzyklika – für die Zukunft unseres Planeten im allgemeinen, aber auch für die konkrete Zukunft Lateinamerikas?

Kräutler: Die Enzyklika hat sicher eine bahnbrechende Wirkung, denn sie richtet sich nicht nur an Katholiken, sondern an alle Menschen. Die Ökoproblematik, der Klimawandel und die Erderwärmung sind ja keine konfessionellen Angelegenheiten sondern betreffen die ganze Menschheit und treffen den Lebensnerv aller Völker. Franziskus will als Papst seinen Beitrag leisten, sicher auch im Hinblick auf die UN-Klimakonferenz in Paris vom 30. November bis 11. Dezember dieses Jahres, bei der es um ein neues Abkommen mit verbindlichen Klimazielen gehen wird.

Markiert diese Enzyklika einen Wandel päpstlicher Lehrschreiben, indem weniger die Theologie, sondern mehr die Welt und die Verantwortung der Kirche in der Welt eine Rolle spielt?

Kräutler: Ich verstehe die Enzyklika nicht als un-theologisches Schreiben. Im Gegenteil. Franziskus räumt mit einer durch Jahrhunderte kolportierten Fehlinterpretation und mangelhaften Übersetzung von Genesis 1,28 Papst Franziskus auf. Gott hat den Menschen nicht zum unumschränkten Gewaltherrscher über seine Mit-Welt eingesetzt. Das so oft missverstandene Wort "Macht euch die Erde untertan" muss endlich dem Urtext gemäß ausgelegt werden. Der Auftrag Gottes ist kein Freibrief für eine gewaltsame Inbesitznahme und skrupellose Plünderung der Natur. Der hebräische Urtext "Setzt euren Fuß auf die Erde" will sagen: Gott überträgt dem Menschen Verantwortung und bestellt ihn, alle Dinge und Lebewesen zu betreuen, zu pflegen und zu schützen. "Und Gott sah alles und siehe, es war sehr gut" (Gen 1,31). Genau darin liegen die Fundamente für eine christliche Lehre zur Ökologie. Theologie soll ja keine Reflexion im luftleeren oder aseptischen Raum sein sondern will konkrete Realitäten im Lichte des Wortes Gottes hinterfragen. Genau das ist Sinn und Motivation dieser Enzyklika. Zur christlichen Sichtweise gehört für den Papst selbstverständlich auch die Art und Weise, wie Franz von Assisi die Schöpfung betrachtet hat. Es ist nicht eine anonyme Umwelt, sondern unser Mit-Welt ohne die wir gar nicht leben können. Alles was Gott geschaffen hat ist uns Schwester und Bruder. Wir gehören zusammen und als Menschen tragen wir Verantwortung auch den zukünftigen Generationen gegenüber.

Wie erleben Sie den Klimawandel in Brasilien?

Kräutler: Ich lebe seit 50 Jahren am Xingu, einem rechtsseitigen Nebenfluss des Amazonas. Als ich 1965 ankam, habe ich noch den tropischen Regenwald pur erlebt. Seither ist die Abholzung und Zerstörung dieses gigantischen Biotops so weit fortgeschritten, dass wir bereits den Klimawandel spüren. Die Trocken- und Regenperioden sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden, wie dies noch vor 50 Jahren der Fall war. Laut wissenschaftlichen Gutachten hatte auch die katastrophale Wassernot der vergangenen Monate in der Mega-Metropole São Paulo mit der skrupellosen Abholzung und Zerstörung Amazoniens zu tun.

Wird die katholische Kirche mit Papst Franziskus noch stärker als früher zur Weltkirche, in der nicht nur die Probleme dr Europäer für Aufsehen sorgen?

Kräutler: Wieder einmal seit Jahrhunderten ein nicht-europäischer Papst und der erste Papst aus Lateinamerika beweist von selbst schon, dass die Kirche sich nicht auf Europa reduzieren lässt. Ja, der Großteil der katholischen Christen lebt seit Jahrhunderten außerhalb Europas. Papst Franziskus hat bewiesen, dass er offen ist für die Anliegen der gesamten Menschheit und beweist die sicher auch durch die Enzyklika "Laudato Si".

Wie erleben Sie Papst Franziskus, und welche Kontakt konnten Sie bisher Sie zu ihm haben?

Kräutler: Ich bin Papst Franziskus als Kardinal-Erzbischof vom Buenos Aires bei der V. Konferenz des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik 2007 in Aparecida, Brasilien, zum ersten Mal begegnet. Ich war damals Delegierter der Brasilianischen Bischofskonferenz. Die Privataudienz, die er mir am 4. April 2014 gewährte, war für mich ein Privileg. Die gut zwanzig Minuten, die ich mit ihm sprechen konnte, waren für mich eine besondere Gelegenheit auf die Problematik im brasilianischen Amazonien hinzuweisen. Papst Franziskus legt keinen Wert auf höfisches Zeremoniell. Er ist sehr brüderlich, offen, herzlich, kann ausgezeichnet hinhören und stellt auch ganz bewusst Fragen nach der persönlichen Meinung seines Gastes. Seine lateinamerikanische Herkunft zeigt sich auch in der Spontaneität und Einfachheit seiner Gesten und Ausdrucksweise.


Religion.orf.at, 19.6.2015
Kräutler: Papst-Enzyklika für „ökologische Bekehrung“
Amazonas-Bischof Erwin Kräutler, Mitautor der am Donnerstag veröffentlichten Umweltenzyklika, rechnet mit einer „gewichtigen Rolle“ des Papst-Dokuments bei der UNO-Klimakonferenz zu Jahresende.


Tiroler Tageszeitung Online, 18.6.2015
Der „Öko-Flüsterer“ des Papstes: Kräutler ist Enzyklika-Mitautor
Vatikanstadt (APA/KAP) - Hätte es einer Bestätigung für das Lebenswerk von „Dom Erwin“ Kräutler bedurft, dann wäre es die Papstwahl von Jorge Mario Bergoglio im März 2013 gewesen. An die Ränder gehen, sich auf die Seite der Entrechteten stellen - was Franziskus fordert, tut der gebürtige Österreicher bereits seit vielen Jahrzehnten.



Spiegel-Online, 18.6.2016
Amazonas-Bischof zur Öko-Enzyklika:
"Es geht ums nackte Überleben"
Von Annette Langer

In seiner Öko-Enzyklika fordert Papst Franziskus einen Wandel im Umgang mit der Natur. Amazonas-Bischof Erwin Kräutler hat seine Erfahrungen mit geprellten Ureinwohnern und profitgierigen Umweltsündern eingebracht. Eine gemeinsame Lesung.

Nun ist sie offiziell vorgestellt: "Laudato si", "Gelobt seist du", die Enzyklika von Papst Franziskus. Das knapp 200 Seiten lange Rundschreiben ist ein aufrüttelndes, klar formuliertes Dokument, das weltweite Umweltsünden aufzählt und die Verantwortung von Politik und Wirtschaft anprangert.

Streckenweise verschwindet die Institution katholische Kirche hinter den Appellen an das Individuum, die Erde vor der Zerstörung zu retten. Denn das, da ist sich der Papst sicher, kann jeder Einzelne, ganz konkret, im Alltag. Der Schutz der Natur, des Planeten, ist für Franziskus ein urchristliches Anliegen.

Die grüne Agenda ist klug gewählt: Sie erlaubt es dem Papst, sein Kardinalanliegen, den Kampf gegen die Armut, mit einzubeziehen. Denn es sind die sozial Schwachen, die am meisten unter Umweltausbeutung und Klimawandel leiden.

Im April 2014 lud Franziskus den brasilianischen Bischof Erwin Kräutler zur Privataudienz nach Rom. Sie sprachen über Kräutlers Diözese Xingu im brasilianischen Bundesstaat Pará, wo Tausende Indigene wegen Großprojekten wie dem Belo-Monte-Staudamm zwangsumgesiedelt werden und der Urwald bedroht ist. Kräutler, Spitzname "Amazonas-Bischof", kämpft seit Jahrzehnten gegen die Baumafia und korrupte Beamte. Dafür wurde er mehrfach mit dem Tod bedroht.

Einige seiner Anmerkungen haben nun Eingang in das päpstliche Schreiben gefunden. Mit SPIEGEL ONLINE sprach der 76-Jährige über seine ersten Eindrücke beim Lesen des päpstlichen Rundschreibens.

"Vor allem aber muss die Menschheit sich ändern." (Absatz 202)

SPIEGEL ONLINE: Die Enzyklika von Papst Franziskus ist ein Appell an alle Weltbürger. Wir sollen bessere Menschen werden - im Handeln (nachhaltig), im Innern (moralisch) und im Kontakt mit Anderen (verantwortlich). Ist das eine freundliche Utopie, ein ambitioniertes Fernziel oder eine ganz konkrete Aufgabenstellung?

Bischof Erwin Kräutler: Der Papst meint das sehr ernst und sehr konkret. Er spricht zu allen Menschen, nicht nur zu den Katholiken, das macht die Stärke der Enzyklika aus. Franziskus hat Kardinäle, Bischöfe und Experten um ihre Meinung und Mitarbeit gebeten, diese Aufgeschlossenheit hat dem Text gutgetan.

"Wir haben vergessen, dass wir selbst aus Erde geschaffen sind, unser Körper ist aus dem Elementen des Planeten geschaffen, die Luft ist die, die wir atmen und ihr Wasser belebt und erquickt uns." (Absatz 2)

Kräutler: Besonders berühren mich natürlich die Stellen, in denen von Amazonien und der Bedeutung der tropischen Regenwälder die Rede ist, dort wo der Papst auf die Rechte der indigenen Völker zu sprechen kommt. Für sie hat ihr Land keinen wirtschaftlichen Wert, sondern es ist ein Geschenk Gottes, es ist heiliges Land, in dem ihre Vorfahren ruhen, das ihre Identität ausmacht und ihre Werteskala bestimmt. Bei der ersten Lektüre habe ich sofort gespürt, dass der Papst nicht von einer anonymen Umwelt spricht, etwas außerhalb von uns, sondern genau das feststellt, was ich im Zusammenhang mit den indigenen Völkern Amazoniens seit Jahren vertrete: Die Umwelt ist unsere "Mit-Welt". Ohne sie leben wir nicht.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Widerstand gegen Geschäftemacher, Mafiosi und Umweltsünder hat sie fast das Leben gekostet. Warnt Franziskus eindringlich genug vor der Skrupellosigkeit der Profiteure?

Kräutler: Er nimmt kein Blatt vor den Mund und klagt das heutige Wirtschaftssystem an, das auf Gewinnmaximierung um jeden Preis abzielt und, wie in Brasilien, fast immer ohne Rücksicht auf die Menschenwürde der betroffenen Personen und Völker handelt.

"Innerhalb des Schemas der Rendite ist kein Platz für Gedanken an die Rhythmen der Natur." (Absatz 190)

SPIEGEL ONLINE: Hat der Papst mit dieser erneuten Kapitalismus-Kritik die Befreiungstheologie wieder hoffähig gemacht?

Kräutler: Ich weiß nicht, ob das sein Anliegen ist. Aber vor seinem lateinamerikanischen Hintergrund und durch die Erfahrungen mit Armut und Ausbeutung kann Franziskus Profitgier nur anprangern. Ich halte folgende Passage für den Grundappell des Papstes:

"Auffallend ist die Schwäche der internationalen politischen Reaktion. Die Unterwerfung der Politik unter die Technologie und das Finanzwesen zeigt sich in der Erfolglosigkeit der Weltgipfel über Umweltfragen. Es gibt allzu viele Sonderinteressen, und leicht gelingt es dem wirtschaftlichen Interesse, die Oberhand über das Gemeinwohl zu gewinnen und die Information zu manipulieren, um die eigenen Pläne nicht beeinträchtigt zu sehen. (…) Das Bündnis von Wirtschaft und Technologie klammert am Ende alles aus, was nicht zu seinen unmittelbaren Interessen gehört." (Absatz 54)

Dies ist der rote Faden, der die Enzyklika durchzieht. Franziskus verweist damit auf die Generalversammlung des lateinamerikanischen Episkopats 2007 in Brasilien. Er war damals Mitglied der Redaktionskommission des Schlussdokuments, in dem es weiter heißt:

"Als Propheten des Lebens wollen wir deshalb darauf bestehen, dass bei den Eingriffen in die natürlichen Ressourcen nicht die Interessen von Wirtschaftskreisen den Vorrang haben dürfen, die zum Schaden ganzer Nationen und sogar der Menschheit auf irrationale Weise die Quellen des Lebens vernichten. Die nachfolgenden Generationen haben das Recht, von uns eine bewohnbare Welt zu bekommen und nicht einen vergifteten Planeten".

SPIEGEL ONLINE: Hat die Enzyklika auf die internationalen Akteure in Wirtschaft und Politik irgendeine Wirkung, die über eine kurze Irritation hinausgeht?

Kräutler: Das wird sich erst noch zeigen. Ich hoffe, dass sie nicht nur eine "irritierende" Wirkung hat, nach der man dann so weiter macht wie bisher, sondern dass sie aufrüttelt. Es geht ja nicht um irgendwelche punktuelle Probleme hier oder dort, sondern es geht um unseren ganzen Planeten. Ich glaube, man kann diese Enzyklika nicht lesen und schlicht ad acta legen. Ich bin auch von ihrem hohen Stellenwert bei der Uno-Klimakonferenz in Paris (30. November bis 11. Dezember) überzeugt.

SPIEGEL ONLINE: Franziskus spricht von dem "Drama" einer auf schnelle Ergebnisse ausgerichteten politischen Planung, dem Zwang, kurzfristig Wachstum zu erzeugen. Kommt Ihnen das bekannt vor?

Kräutler: Ich erinnere mich nur zu gut an Brasiliens Ex-Präsidenten Luiz Inácio da Silva, der noch vor ein paar Jahren behauptet hat, Ureinwohner und Nachkommen afrikanischer Sklaven seien Hindernisse für den Fortschritt. Auch Umweltgesetze waren seiner Meinung nach überholt und sollten dem Fortschritt angepasst werden. Der Papst gibt in seiner Öko-Enzyklika nun eine unmissverständliche Antwort auf solche, die Mit-Welt verachtende Behauptungen.

"Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein wesentliches, grundlegendes und universales Menschenrecht." (Absatz 30)

SPIEGEL ONLINE: Vehement verweist Franziskus auf die mangelhafte Trinkwasserversorgung in Entwicklungsländern. Hat der Westen den Blick für die großen Probleme des Planeten verloren?

Kräutler: Diese Thematik wird noch viel zu wenig wahrgenommen. Fehlendes Trinkwasser kann Völkerwanderungen bewirken und birgt ein Riesenpotential an internationalen Konflikten in sich. Die Privatisierung dieser Ressource ist wie ein Schlag ins Gesicht der Armen. Aber die Menschen werden sich ihr Wasser holen, koste es was es wolle. Es geht ums nackte Überleben.


Zur Person
Der gebürtige Österreicher Erwin Kräutler ist seit 1980 Bischof und Prälat von Xingu, der mit 350.000 Quadratkilometern flächenmäßig größten Diözese Brasiliens. Er kämpft für die Amazonas-Indios und den Erhalt des Regenwaldes und wurde dafür 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Kräutler bekam immer wieder Morddrohungen. 1987 überlebte er einen Anschlag in seinem Auto schwer verletzt, sein Beifahrer wurde getötet. Seitdem steht er unter Polizeischutz. "Man hat mir die äußere Freiheit genommen. Aber die innere Freiheit, das sagen zu können, was ich will, kann mir niemand nehmen."


Wiener Zeitung, 1.7.2015
"Sterben der Mitwelt bringt uns den Tod"
Bischof Erwin Kräutler freut sich im Interview über die Enzyklika "Laudato Si" und ist besorgt über Entwicklungen in Brasilien.