Mittwoch, 22. Mai 2019

Bischof Erwin Kräutler auf dem Innsbrucker Diözesantag



Tiroler Tageszeitung, 22.5.2019
Wo Kirche heute noch Platz hat
Beim Diözesantag wurde über die Rolle von Religionen in der Gesellschaft diskutiert.

Innsbruck – Alles überholt, verstaubt und obendrauf kein Wille zu Reformen. Solches und Ähnliches hat sich die Kirche, allen voran die katholische, in der jüngeren Vergangenheit immer wieder anhören müssen. Hat Religion, wenn sie organisiert und institutionalisiert ist, keinen Platz mehr in der Gesellschaft? Wo können und dürfen sich Priester und Laien einbringen? Über diese Fragen wurde gestern beim Diözesantag und Dies facultatis der Theologie der Uni Innsbruck diskutiert.

Prominentester Redner war Bischof Erwin Kräutler, der für sein Engagement für die Indios im Amazonasgebiet in Brasilien mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Dem gebürtigen Vorarlberger war es wichtig zu betonen, dass nicht die geweihten Würdenträger, sondern allen voran alle anderen Mitglieder der Gemeinschaft eine Kirche ausmachen. „Dort, in den Basisgemeinden, lebt sie“, sagt Kräutler. Ebenso wichtig sei es zu verstehen, „dass wir als Kirche wissen, dass wir zusammengehören“. Und schließlich könnten nur Reformen die Menschen wieder an die Institution heranführen. So müsse etwa „die Stellung der Frau in der Kirche überdacht werden. Warum soll es keine Diakoninnen geben dürfen?“, fragte sich der Bischof.

Während sich der deutsche Theologe Ansgar Kreutzer in seinen Ausführungen damit beschäftigte, ob Religionen und die Kirche auch politisch sein und sich einbringen dürfen, erläuterte Christine Baur, Juristin und ehemalige Soziallandesrätin für die Grünen, ihre Gedanken zur Verbindung zwischen Glaube und politischer Arbeit.

Innsbrucks Bischof Hermann Glettler befand, dass „die Kirche sympathische und unaufdringliche Präsenz“ zeigen und bei den wichtigen Themen „kritisch intervenieren“ solle. Er plädierte für eine Rückkehr der Religionen in den öffentlichen Raum, da es das Denken der Menschen wieder mehr auf das „worauf hin und wovon her“ des Lebens bringe. Nicht außer Acht zu lassen, befand Glettler, seien in der Diskussion die wichtigen Funktionen, welche die Kirche in der Gesellschaft bereits erfülle. „Sie ist die größte Kulturerhalterin des Landes Tirol mit den vielen Kirchen und Kunstschätzen. Das soziale Engagement, der Einsatz für die Schwächsten, gehört seit jeher zum Herzschlag der Kirche.“ Die Institution müsse wieder mehr „vom Reden ins Tun“ kommen, die „Begegnung mit Gott ermöglichen, aber keine Propaganda betreiben“. (bfk)


Kathpress, 22.5.2019
Glettler: Kirche muss bei wichtigen Themen "intervenieren"
Die Kirche hat die Aufgabe, "sympathische und unaufdringliche" Präsenz zu zeigen und bei den wichtigen Themen "kritisch zu intervenieren". Das betonte Bischof Hermann Glettler beim diesjährigen Innsbrucker Diözesantag, gleichzeitig "Dies facultatis" an der Theologischen Fakultät Innsbruck. Er plädierte am Dienstag für eine Rückkehr der Religionen in den öffentlichen Raum, "weil Religion etwas Wesentliches unseres Menschseins meint, eine Grundausrichtung unseres Lebens auf ein Woher und Woraufhin, weshalb sie nichts in der folkloristischen Dekorkiste zu suchen hat". Religion biete dem Individuum eine Gewissheit von Zugehörigkeit, die sich positiv auf das gesellschaftliche Gefüge auswirke, so der Bischof.

Weniger erfreulich sei die Rückkehr von Religion allerdings unter dem Gesichtspunkt, dass "institutionalisierte Religionen auch in missbräuchlicher Weise Macht ausüben können". Besonders verquickt mit staatlicher Macht hält der Bischof Religion für gefährdet, ihre eigentliche Sendung zu verlieren. "In jedem Fall sind religiöse Erscheinungsformen individueller und wesentlich pluraler geworden, vielfach losgelöst von institutionellen Strukturen."

Nicht außer Acht zu lassen sind laut Glettler die wichtigen Funktionen, die die Kirche in der Gesellschaft bereits erfülle. "Sie ist die größte Kulturerhalterin des Landes Tirol mit den vielen Kirchen und Kunstschätzen. Das soziale Engagement, der Einsatz für die Schwächsten, gehört seit jeher zum Herzschlag der Kirche", so Glettler. Die Institution müsse wieder mehr "vom Reden ins Tun" kommen, die "Begegnung mit Gott ermöglichen, aber keine Propaganda betreiben".

Kräutler: "Wir tun so, als wären wir die letzten"

Neben Bischof Glettler nahm auch der brasilianisch-österreichische Altbischof von Altamira-Xingu, Erwin Kräutler, an der Veranstaltung unter dem Titel "Religion im öffentlichen Raum" teil. "Wir tun so, als wären wir die letzten", machte er dabei auf die dramatischen Folgen der Abholzung des Regenwaldes aufmerksam. In seinem Vortrag erinnerte er sich an den Beginn seiner Tätigkeit in Amazonien und das damals noch vollkommen intakte Ökosystem. Heute sei das Gebiet weitgehend nicht wiederzuerkennen. Die unmittelbaren Auswirkungen der Klimaerwärmung seien in Brasilien deutlich spürbar. "Die Temperaturen sind so angestiegen, dass es bereits jetzt im Freien oft nicht mehr auszuhalten ist", berichtete Kräutler.

In leidenschaftlichen Worten verurteilte er ökologische Ignoranz. "Jene, die heute politisch verantwortlich sind, werden die Folgen ihrer Untätigkeit nicht mehr erleben." Deutliche Kritik übte der Bischof an der aktuellen politischen Führung in Brasilien unter Präsident Jair Bolsonaro. Unverhohlen agiere dieser gegen die in der Verfassung verankerten Rechte der indigenen Bevölkerung, indem er versuche, deren angestammtes Land wegzunehmen. "Aber wir kämpfen", so der Bischof.

Ausführlich legte Kräutler auch Vorschläge zur Erneuerung der Kirche vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Brasilien dar, wo er 54 Jahre lang als Priester und 38 Jahre lang als Bischof tätig war. Er ging dabei auf die kirchlichen Basisgemeinden ein, die "völlig zu Unrecht als marxistisch verpönt" gewesen, aber durch ihr stark mystisches Glaubenszeugnis zu Keimzellen der Erneuerung der Kirche geworden seien.

Zu wenige Priester für Eucharistie

"Was uns aber fehlt und worauf wir pochen, ist die Eucharistie, das Zentrum unseres Glaubens." Aufgrund der geringen Zahl an Priestern könnten diese aber nur bis zu drei Mal im Jahr Eucharistie feiern. "Die Priester kommen für ein paar Stunden, dann sind sie wieder weg, das ist schrecklich", so der Bischof. Bei den evangelikalen Gemeinden sei das anders. "Die Pastoren sind da, unsere Priester kommen und gehen." Für ihn mit ein Grund für den Zulauf, den evangelikale Gemeinden haben.

Veränderungen wünscht sich Bischof Kräutler auch im Blick auf die Zugangsmöglichkeiten von Frauen zum Amt in der Kirche: "Warum kann eine Frau nicht Diakonin werden? Warum können sie nicht die Krankensalbung spenden?" Mit Blick auf die kommende Amazonas-Synode im Herbst in Rom appellierte Bischof Kräutler an die Teilnehmer: "Beten wir, dass die Synode Wunder wirkt. Es ist an der Zeit!"

Mehr als 150 in Wissenschaft und Seelsorge Tätige fanden sich am Dienstag beim "Dies facultatis" der Theologie der Universität Innsbruck und beim Diözesantag zusammen und gingen u.a. den Fragen "Hat Religion, wenn sie organisiert und institutionalisiert ist, keinen Platz mehr in der Gesellschaft?" oder "Wo könne und dürfen sich Priester und Laien einbringen?" nach.