Dienstag, 4. März 2014
Kräutler: Proteste gegen Fußball-WM dauern an
SalzburgerNachrichten, 03.03.2014
„Die Proteste verstummen nicht“
Fußball-WM. Alle paar Wochen gibt es in Brasilien Demonstrationen.
Eine kritische Analyse von Josef Bruckmoser
Die Demonstrationen gegen soziale Missstände in Brasilien hatten im Juni 2013 einen Höhepunkt erreicht. Die SN sprachen mit dem österreichisch-brasilianischen Bischof Erwin Kräutler über Hoffnungen und Befürchtungen 100 Tage vor der Fußball-WM.
Was erwarten Sie von der Fußball-WM, die von 12. Juni bis 13. Juli 2014 in Brasilien stattfindet?
Kräutler: Ich rechne damit, dass es große Demonstrationen geben wird. Wie der Staat das in den Griff bekommen will, weiß ich nicht. Mit Polizei und Heer auf die Menschen loszugehen, ist keine Lösung. Allerdings mischen sich unter die friedlichen Demonstranten immer wieder Chaoten und Anarchisten. Daher ist die Entwicklung schwer absehbar.
Wird es eine Neuauflage der Demonstrationen von 2013 sein, bei denen es um soziale Missstände gegangen ist?
Kräutler: Ja, sicher. Der kleine Mann, die kleine Frau kommen nicht in die Stadien. Die Plätze sind alle längst an die Reichen ausverkauft. Auch die Hoffnung der kleinen Leute, dass sie mit Verkaufsständen vor den Stadien ein bisschen etwas dazuverdienen könnten, hat sich zerschlagen. Denn das wird im großen Umkreis um die Austragungsorte der WM-Spiele verboten sein. Die kleinen Leute hier in Brasilien sagen daher: Was bringt uns das Ganze?
Der Staat wird versuchen, eine glorreiche WM zu inszenieren, und er wird Demonstrationen weit von den zentralen Orten fernhalten.
Kräutler: Diese Sorge habe ich auch. Aber ob das heute noch so einfach gelingt, ist die Frage. Die jungen Menschen sind durch die neuen Medien vernetzt. Daher wird es für die Behörden nicht so leicht sein, alles zu kontrollieren.
Meine zweite Sorge ist, wie viel Geld Brasilien für die Fußball-WM beim Fenster hinauswirft. In mehreren Städten werden die riesigen Stadien, die für die WM gebaut werden, keine nachhaltige Verwendung finden. Die Bundeshauptstadt Brasilia ist kein Fußballzentrum. Dort wurde mit wahnsinnig viel Geld ein Stadion gebaut, das danach nicht mehr angemessen genutzt werden kann.
Gleichzeitig fragen viele Brasilianer, wie es ausschaut mit der Gesundheitsversorgung, mit den Schulen, mit der öffentlichen Sicherheit, mit den Straßen, mit dem öffentlichen Verkehr. Da wären große Investitionen notwendig. Aber nein, man investiert das ganze Geld in viel zu große und kostspielige Fußballstadien.
Die dritte Sorge ist, ob die notwendige Infrastruktur rechtzeitig fertig wird, zum Beispiel die Um- und Neubauten auf den Flughäfen von Rio oder Brasilia. Es könnte sein, dass alles ein großes Chaos wird. Es hat ja schon beim Weltjugendtag mit dem Papst in Rio große logistische Probleme gegeben.
Seit den Demonstrationen im Juni 2013 scheint es aber relativ ruhig geworden zu sein.
Kräutler: Es ist nicht so ruhig, wie es scheint. In Rio und São Paulo finden alle paar Wochen Demonstrationen statt. Die Sicherheitsbehörden sind darüber sehr beunruhigt.
Könnte es nicht sein, dass die Begeisterung am Ende die sozialen Fragen zudeckt?
Kräutler: Das kommt ganz darauf an, wer Weltmeister wird. Wenn Brasilien gewinnt, wird der Jubel eine Zeit lang vieles zudecken. Wenn nicht, dann werden die sozialen Fragen erst recht aufbrechen und die Leute werden erst recht fragen: Was habe ich gehabt von der WM, wenn meine Kinder keinen Platz in der Schule bekommen, wenn ich vor dem Krankenhaus Schlange stehen muss und nicht drankomme, wenn Menschen sterben, weil sie nicht rechtzeitig operiert werden? Was habe ich gehabt von der WM, wenn ich jeden Tag zwei Stunden hin und zwei Stunden zurück in einem Omnibus eingepfercht zur Arbeit fahren muss?
Tatsache ist, dass vor allem die Jugend sich nicht mehr so leicht damit vertrösten lässt, dass Brasilien die WM austrägt, so nach dem Motto: Wir haben die WM, da ist doch alles andere egal!
Wie frei sind die Medien in Brasilien, über die Proteste zu berichten, wenn es sie gibt?
Kräutler: Vor Kurzem ist bei einer Demonstration ein Fernsehjournalist durch einen Böller getötet worden. Die Folge war, dass nur diese Ausschreitungen gezeigt wurden. Aber es wurde nicht gezeigt, warum die Leute auf die Barrikaden gestiegen sind. Und es wurde nicht gezeigt, dass die Demonstranten selbst friedlich waren. Die Medien haben das ganze Augenmerk auf die paar gewalttätigen Chaoten gerichtet, die sich unter die Demonstrationen gemischt haben. Dadurch wurde die öffentliche Debatte sehr verzerrt.
katholisch.de, 05.03.2014
"Was haben die Leute davon?"
100 Tage vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien nimmt auch die katholische Kirche die soziale Lage in dem lateinamerikanischen Land in den Blick. So sagte Erwin Kräutler, Bischof der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens, dass sich die Bevölkerung durch die Fußball-WM nicht mehr über zahlreiche soziale Missstände im Land hinwegtrösten lasse.
Salzburger Nachrichten, 20.01.2014
Betonmonster zerstört Lebensader
Raubbau. Fünf Monate vor der Fußball-Weltmeisterschaft zeigt Brasilien der Umwelt und den Menschenrechten die Rote Karte. Das Megakraftwerk am Xingu im Amazonasbecken ist nicht nur klimapolitisch höchst fragwürdig.