Mittwoch, 22. August 2012

Bischof Kräutler gibt nicht auf

Mitteldeutsche Kirchenzeitung, 22.8.2012
Urwaldbischof gibt nicht auf

In Brasilien ist die Kirche treibende Kraft im Umweltschutz – und der aus Österreich stammende Bischof Erwin Kräutler Symbolfigur des Kampfes für die Bewahrung der Schöpfung.

Brasiliens Umweltorganisationen zählen meist nur einige Hundert Aktive. Angesichts der gravierenden Umweltprobleme wurden daher Bischöfe, Padres und Ordensleute notgedrungen zu Öko-Experten. Sie tragen die Proteste gegen ungehemmte Naturvernichtung, werden deshalb systematisch verfolgt, sogar ermordet. Wenige Attentate auf kirchliche Umweltaktivisten wurden weltweit so bekannt wie das von 2005 auf die nordamerikanische Urwaldmissionarin Dorothy Stang, enge Mitarbeiterin von Bischof Kräutler.

Auch auf ihn ist ein Kopfgeld ausgesetzt, Berufskiller warten auf ihre Chance. Weil sich die Regierung in der Hauptstadt Brasilia den entsprechenden Imageschaden ausrechnen kann, wird Kräutler sicherheitshalber durch vier Polizisten rund um die Uhr bewacht. Der Terror gegen aktive Naturschützer lässt gerade im Amazonasgebiet viele Menschen auch aus Angst um das Leben ihrer Familien schweigen. Bischof Kräutler erhebt daher umso lauter seine Stimme, erhielt nicht zufällig 2010 den Alternativen Nobelpreis – auch wegen der wohlfundierten Proteste gegen den unweit vom Bischofssitz in Altamira begonnenen Bau des Mega-Wasserkraftwerks Belo Monte. Sogar Amnesty International hat sich ihm angeschlossen.

Erstmals nennt der 73-Jährige jetzt in Brasiliens Landesmedien den Ex-Staatschef Lula und dessen Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff »skrupellose Amazonas-Zerstörer, die Wirkungen verursachten, durch die sich das Klima des Planeten unumkehrbar verändert.« Belo Monte werde einen Domino-Effekt haben und sei der »Dolchstoß« mit dem Lula und Dilma Rousseff das Herz Amazoniens tödlich träfen. In Brasilien sind 61 Wasserkraftwerke geplant, die meisten in Amazonien. Derzeit werden neben Belo Monte bereits mehrere andere errichtet, ebenfalls mitten im Indianer-Lebensraum.
Im Fadenkreuz der Kopfgeldjäger: Der aus Österreich stammende brasilianische Bischof Erwin Kräutler gehört zu den unbeugsamen Aktivisten des Umweltschutzes im Amazonasgebiet. – Foto: privat

Im Fadenkreuz der Kopfgeldjäger: Der aus Österreich stammende brasilianische Bischof Erwin Kräutler gehört zu den unbeugsamen Aktivisten des Umweltschutzes im Amazonasgebiet.

Aber ist Wasserkraft nicht saubere Energie? In den heißen Tropen werden Stauseen zu Faulgasproduzenten erster Güte. Sie geben laut wissenschaftlicher Studien massenhaft Kohlendioxid und das weit klimaschädlichere Methan an die Atmosphäre ab. Ist Belo Monte erst einmal fertig, geht der Strom vor allem an Bergbau-, Aluminium- und Stahlunternehmen, die größtenteils in Industrieländer, darunter Europas, exportieren.

Derzeit machen Arbeiterrevolten auf den Baustellen, heftige Zusammenstöße mit der Militärpolizei, eine hochgeschnellte Mordrate sowie Kinderprostitution fast täglich Schlagzeilen. Dazu kommen die Aktionen der sich wehrenden Indianer. Denn in einem Land wie Brasilien lösen solche Großvorhaben stets eine regelrechte Völkerwanderung aus, machen sich Hunderttausende aus den Elendsvierteln der südlichen Großstädte nach Amazonien auf, kampieren in Zelten und Hütten, hoffen auf einen Job. Doch: »Wer nichts kriegt, haust erneut im Elend«, beklagt Kräutler.

Die Militärdiktatur hatte Belo Monte einst geplant – mit dem Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, im Jahr 2003 hielt man das Projekt für endgültig gestorben. Noch 2009 sichert er Kräutler im Präsidentenpalast zu: »Das Wasserkraftwerk zwinge ich niemandem auf – Erwin, du kannst mit mir rechnen.«

Der Bischof heute: »Das war Theater, politisches Spielchen, nur Show. Als wir entdeckten, dass Lula seine Position geändert hatte, sind wir aus allen Wolken gefallen. Das war Verrat. Ich selbst fühle mich verraten. Heute haben wir eine Zivildiktatur – denn Belo Monte wurde aufgezwungen, ohne die Verfassung, darunter die Indianerrechte, zu respektieren.«

Die heutige Präsidentin Dilma Rousseff war in der Lula-Regierung als Energieministerin für derartige Projekte, auch weitere Atomkraftwerke, zuständig. »Wir können so viel protestieren, wie wir wollen – Dilma Rousseff verhindert jeglichen Dialog. Sie ist sehr hart, unnachgiebig, akzeptiert keine abweichende Meinung.«

Am Bauplatz von Belo Monte wurde bereits kräftig Urwald abgeholzt, bewegten Bagger und Planierraupen mehrere Millionen Kubikmeter Erde. Viele in Brasilien halten daher weiteren Widerstand gegen den künftig drittgrößten Stausee der Erde für sinnlos. Auch Bischof Kräutler? »Ich bin nicht der Typ, der klein beigibt. Wir werden alle gewaltlosen Mittel anwenden, um dieses Monsterprojekt doch noch zu verhindern.«


Brief von Bischof Kräutler an die Solidaritätsgruppe Koblach:

Liebe Koblacherinnen, liebe Koblacher, liebe Freundinnen und Freunde.

Die brasilianische Justiz hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben und einen Baustopp gegen Belo Monte verhängt. „Diesen Film kennen wir schon“, werdet ihr sagen. Und dennoch, diesmal läuft die Geschichte anders. Das Gerichtsurteil lautet, dass die Erteilung der Baubewilligung verfassungswidrig war und dem von Brasilien unterzeichneten ILO-Übereinkommen über der Rechte der Indigenen Völker widerspricht. Als Urteilsbegründung führt das Gericht nun genau dieselben Argumente an, die wir über Jahre hinweg immer wieder eingebracht haben, aber bisher ignoriert worden sind:

1. die direkt von Belo Monte betroffenen indigenen Gemeinschaften wurden nicht angehört und 
2. die vom Parlament schon 2005 geforderte Untersuchung über die Folgen für die Umwelt wurde bis heute nicht durchgeführt. Also war die Baubewilligung rechtsungültig.
Warum hat es so lange gedauert, bis ein Richter endlich den Mut aufbringt, die Regierung offensichtlicher Verfassungsbrüche anzuklagen? Diese Frage stellen wir uns und warten auf die Auswirkungen des Urteils.
Wir geben nicht auf!
 

Mit herzlichen Grüßen,
Euer Erwin