Kathpress, 26.04.2013
Zuspitzung bei "Belo Monte": "Das ist fast wie ein Genozid"
Dreikönigsaktion und Grüne Europaparlamentarierin Lunacek unterstützen brasilianische Bundesstaatsanwaltschaft, die Staudammprojekt wegen Zerstörung von Lebensraum und Missachtung der Rechte Indigener als Verfassungsbruch bekämpft
Wien (KAP) "Das ist fast wie ein Genozid": Mit diesem alarmierenden Aufschrei macht die brasilianische Journalistin und Aktivistin Verena Glass gemeinsam mit Helena Palmquist von der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft auf die sich aktuell zuspitzende Situation rund um das umstrittene Staudammprojekt "Belo Monte" am Xingu-Fluss aufmerksam. Beide informieren seit einer Woche im Rahmen einer Europareise über die aktuellen Entwicklungen an dem Nebenarm des Amazonas. Die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle seien dramatisch, 60.000 Indigene könnten ihre Lebensgrundlage verlieren, einem riesigen Naturgebiet drohe die Zerstörung. Zu dem Pressegespräch am Freitag in Wien hatten die Dreikönigsaktion gemeinsam mit der Grünen Europaparlamentarierin Ulrike Lunacek geladen.
"Belo Monte" sei der Offenbarungseid der brasilianischen Regierung, so die Aktivisten. Der Staat verletze durch sein Vorgehen "alle demokratischen Grundregeln". Es gehe zu "wie zur Zeit der Militärdiktatur", betonte Verena Glass von der "Bewegung lebendiger Xingu für immer" (Movimento Xingu Vivo para Sempre). Die aktuelle Lage sei "höchst prekär". Umweltauflagen würden missachtet, die indigene Bevölkerung nicht beachtet. Hinzu komme das Choas auf der Baustelle: "Durch den Zuzug von Bauarbeitern, worauf das sensible Gebiet im Amazonas nicht gewappnet ist, kommt es zu massivem Anstieg von Gewalt, vor allem im Bereich der Sexualdelikte. Minderjährige werden zur Prostitution gezwungen. Fälle sklavenähnlicher Arbeitsbedingungen sind keine Seltenheit".
Tatsächlich reichen die Wurzeln des Staudammprojektes bis in die brasilianische Militärdiktatur zurück: Das Vorhaben eines Baus zweier Staudämme und zweier Stauseen an der "Großen Schlinge" (Volta Grande) des Xingu, einem Seitenarm des Amazonasstromes, wurde während der Militärdiktatur (1964-1985) entworfen, verblieb aus Geldmangel jedoch in der Schublade. Der demokratisch gewählte Präsident Cardoso plante in den 90er Jahren eine Reaktivierung, die letztlich erst im Jahr 2005 unter Präsident Lula da Silva in die Umsetzung ging, weil das heute auf mehr als zehn Milliarden Euro teure Projekt weitestgehend über brasilianische Banken und ohne Weltbank-Beteiligung finanziert wird.
"Belo Monte": Erbe der Diktatur
Bei ihrem Kampf gegen "Belo Monte" gehe es inzwischen, da bereits rund 30 Prozent der Arbeiten abgeschlossen sind, nicht mehr um einen Totalstopp, erklärte Verena Palmquist von der brasilianischen Bundesstaatsanwaltschaft. Es gehe vielmehr darum, eine "schwerwiegende Missachtung der Verfassung" anzuprangern. "Diese gebietet, die betroffene indigene Bevölkerung bei solch schweren Eingriffen wie Staudamm- oder Bergwerksprojekten zu informieren, zu befragen und deren Zustimmung als Voraussetzung für einen möglichen Bau anzunehmen. All das ist nicht geschehen", so Palmquist. Die Staatsanwaltschaft ist ein Kontrollorgan zur Einhaltung von Verfassungsbestimmungen vor allem bezüglich der Grundrechte der indigenen Bevölkerung und des Umweltschutzes.
Derzeit seien 17 Prozesse zu den verschiedenen Bauetappen anhängig. Bis zum Obersten Gerichtshof sei man gegangen. Dieser sollte heuer eine endgültige Entscheidung über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit von "Belo Monte" fällen. Indessen seien die Fischbestände im Xingu bereits massiv rückgängig, Wasserwege würden unterbrochen, die Fauna durch (Spreng)Arbeiten zum Teil bereits zerstört.
Kräutler kämpft am Obersten Gerichtshof
Zu den Mitkämpfern auch auf den verfügbaren juristischen Wegen zählt der austro-brasilianische Bischof von Xingu, Erwin Kräutler. Als einer der engagiertesten und wichtigsten Kämpfer für die Rechte der indigenen Bevölkerung habe er soeben um einen Termin beim Obersten Gerichtshof angesucht, teilte Palmquist mit. Dabei gehe es ihm auch darum, "weitere Staudamm-Projekte an anderen Flüssen Amazoniens mit verheerenden Auswirkungen auf Natur und Mensch zu unterbinden".
Für Ulrike Lunacek hat eine "rücksichtslose Industriepolitik der Vergangenheit nichts mehr im 21. Jahrhundert verloren". "Rücksichtslos" und damit im Widerspruch zu einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit sei "Belo Monte", weil für das Kraftwerk mit einer vorgesehenen Leistung von elf Gigawatt - damit das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt - eine Fläche von 668 Quadratkilometern überflutet werden müsste. Menschen, die am und vom Xingu leben, würden ihre Lebensgrundlage verlieren, die Biodiversität des Regenwaldes stehe auf dem Spiel.
Grüne: Andritz soll Nachhaltigkeit einhalten
"Das Argument der Regierung, wenn der Damm nicht gebaut werde, gingen die Lichter aus, sitze man etwa zur Fußball-WM 2014 im Dunkeln, ist falsch und perfide. Denn von 'Belo Monte' profitiert nicht die Bevölkerung, sondern Großkonzerne", so Lunacek. Tatsächlich sind bereits 70 Prozent der zukünftigen Energieleistung des Kraftwerks für die nächsten 30 Jahre verkauft - an große Unternehmen. Am Bau ist auch das österreichische Unternehmen Andritz beteiligt. "Auf der Webseite gibt Andritz ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit ab. Ein solches muss aber auch für Ausführungen in Brasilien gelten und darf nicht bloße Fassade bleiben", forderte Lunacek.
Das Europaparlament habe bereits im Jahr 2011 einen fraktionsübergreifenden Initiativbericht, der kritisch zu "Belo Monte" Stellung nehme, mehrheitlich angenommen. EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton meinte zwar auf eine Anfrage, die EU könne sich nicht in brasilianische Angelegenheiten einmischen. Lunacek entgegnete: "Soziale und ökologische Nachhaltigkeit heißt immer auch, sich einzumischen. 'Belo Monte' geht uns alle an".
Ulrike Lunacek, 26.04.13
Lunacek/Glass/Palmquist: „Amazonien nicht als Supermarkt für multinationale Konzerninteressen missbrauchen“
Beim Belo Monte-Megakraftwerk wird internationales Recht mit Füßen getreten – Kritik an Andritz-Beteiligung
„Das größte Hindernis für einen einheitlichen Kampf gegen das Belo Monte-Megastaudammprojekt ist die Hü-Hott-Politik der Europäischen Union“, kritisiert Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin und außenpolitische Sprecherin der Grünen/EFA Fraktion im Europaparlament, bei der heutigen Pressekonferenz zum Megakraftwerk Belo Monte, in der sie gemeinsam mit zwei Expertinnen aus Brasilien über die aktuellen Entwicklungen vor Ort und in der EU berichtet hat.
Lunacek: „Das Europaparlament hat in einem Bericht über Kraftwerksbauten explizit die negativen Auswirkungen des Belo Monte-Projekts für Menschen und Umwelt thematisiert. Daneben finanziert die EU Entwicklungsprojekte zum Schutz der indigenen Bevölkerung und gegen Urwaldrodungen in der Region. Gleichzeitig wird aber die Verantwortung für Belo Monte allein der brasilianischen Regierung übertragen. Mit dieser Außenpolitik, die die EU-Entwicklungspolitik konterkariert, macht sich die EU nicht nur unglaubwürdig, sondern trägt dazu bei, dass Amazonien als Supermarkt für nationale wie internationale Konzerninteressen missbraucht wird.“
Diese Bonanza-Goldgräberstimmung, die den Amazonas zu einem Supermarkt für multinationale Konzerne degradiert, betonte auch Verena Glass, Aktivistin des Movimento Xingu Vivo para Sempre, in ihrer Stellungnahme. Das Belo Monte-Projekt führt nicht nur zu Ab- und Umsiedelung von bis zu 40.000 Menschen, sondern auch die Biodiversität, angefangen vom Fischreichtum, wird dadurch schwer geschädigt.“ Die Gewinner dieses Ausverkaufs sieht Glass im Ausland und in der Industrie: „Die Vielfalt und der Reichtum unserer Natur wird geopfert zum Nutzen und Profit französischer, holländischer, norwegischer aber auch österreichischer Firmen. Und die aus diesem Kraftwerk gewonnene Energie kommt nicht der Bevölkerung, sondern energieintensiven Industrien zugute. Die Bergbauindustrie steht ebenfalls in den Startlöchern. Da in den trockengelegten Gebieten das kanadische Bergbauunternehmen Belo Sun die größte Goldmine Brasiliens anlegen will.“
Ins gleiche Horn stößt Helena Palmquist, Pressesprecherin des Ministério Público Federal do Pará, die so wie Glass auf Einladung der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar und der Grünen Fraktion im Europaparlament zu dieser Pressekonferenz sowie Informationsverantsaltungen nach Österreich gekommen ist.
Palmquist rechnete vor, dass es seit dem Jahr 2001 bereits 17 Klagen gegen das Projekt eingebracht wurden – ein 18. Klage ist in Vorbereitung. Immer wieder gab es kurzfristige, vom Gericht erzwungene Baustopps. Diese änderten aber nichts am generellen Baufortschritt. Palmquist: “Die strengen Umweltschutzgesetze existieren nur in der Theorie. Dass die indigene Bevölkerung nicht in die Verhandlungen eingebunden wird, ist eindeutiger Bruch der brasilianischen Verfassung sowie internationalen Rechts.” Von Bischof Erwin Kräutler hat Palmquist heute in einem Mail erfahren, dass er in dieser Frage um eine Audienz beim Obersten Gerichtshof angefragt hat, um die Rechte der Indigenen dort mit Nachdruck vorzubringen. Daneben beobachtet Palmquist mit Sorge “die fortschreitende Militarisierung des Projekts”. Palmquist: “Der Kampf gegen Belo Monte ist für uns auch deswegen so wichtig, weil Belo Monte ein Symbol ist. Wenn wir hier verlieren, hat das sehr negative Auswirkungen auf die viele anderen geplanten oder bereits im Bau befindlichen Staudammprojekte.“
Scharf kritisiert wird von Lunacek in diesem Zusammenhang die Beteiligung der österreichischen Firma Andritz AG am energiewirtschaftlich unnötigen und für Umwelt wie Menschen in der Region katastrophalen Belo Monte-Gigantomanie. Lunacek: „Andritz ist bei fast allen umstrittenen Staudammprojekten mit dabei – beim Belo Monte Projekt, beim Ilisu Staudamm in der Türkei und beim Xayaburi Damm in Laos. Dass Andritz dabei noch geringere Maßstäbe als andere Firmen anlegt, zeigt das Beispiel Ilisu: Hier empfahlen die Regierungen von Österreich, Deutschland und der Schweiz 2009 allen Firmen, sich wegen der zu erwartenden Folgen aus dem Projekt zurückzuziehen. Dieser Aufforderung kamen alle nach, außer Andritz. Unsere Einladung an die Andritz AG sich einer Diskussionsveranstaltung zu stellen, wurde ebenfalls abgelehnt. Ein Armutszeugnis, das zeigt wie Corporate Social Responsibility wieder einmal nur als schöne Fassade missbraucht wird.“
Kleine Zeitung, 26.4.2013
Belo-Monte: Zustände wie unter der Militärdiktatur
Neuerlich scharfe Kritik von Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten am Staudamm-Projekt in Brasilien. Verfassung und internationales Recht werde verletzt, Gegner durch den Geheimdienst bespitzelt.
Das umstrittene Bauprojekt des Belo-Monte-Staudamms im Amazonas-Gebiet sorgt für Zustände wie zur Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985). Drastische Worte fanden am Freitag zwei Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Europa-Abgeordneten Ulrike Lunacek (G) in Wien.
Der Standard, 26.4.2013
"Brasilien wirft die Demokratie auf den Müll"
Der Bau des Belo-Monte-Staudamms bringe Armut, sexuelle Gewalt und Zustände wie in der Militärdiktatur, berichten zwei Aktivistinnen
Der Bau des international heftig kritisierten Belo-Monte-Staudamms ist weiterhin im vollen Gange. Die brasilianische Regierung scheint auf eine Politik der vollendeten Tatsachen zu setzen: Denn obwohl noch zahlreiche Gerichtsverfahren laufen, ist bereits fast ein Drittel der Bauarbeiten des 11-Gigawatt-Kraftwerks realisiert.
Carta Maior, 24/04/2013
Berlim: Belo Monte em debate
Após a premiação recebida pelo filme Xingu, de
Cao Hamburguer, no Festival de Berlim, a Amazônia voltou à pauta na
Alemanha devido a um debate com ativistas brasileiros sobre a
contraditória e espinhosa construção da Usina Hidrelétrica de Belo
Monte.
Amazônia e temas correlatos sempre despertaram grande interesse na
Alemanha e também na Áustria. Esse interesse intenso e recorrente pelos
temas da maior floresta tropical do mundo é muito antigo, tendo como um
de seus pilares a vinda ao Brasil dos pesquisadores austríacos Johann
Baptiste von Spix e Carl von Martius, em 1817, acompanhando a princesa
Leopoldina que vinha se casar com o então príncipe D. Pedro.
Além desse caráter histórico, sem dúvida razões de natureza antropológica e psicológica devem entrar na composição deste quadro. O fato, em todo caso, é que ele se intensificou ainda mais nas últimas décadas, diante dos temas e debates em torno da questão da preservação ou destruição da floresta, das atividades econômicas na sua região e da crescente mobilização dos povos indígenas em defesa de seus direitos.
Além desse caráter histórico, sem dúvida razões de natureza antropológica e psicológica devem entrar na composição deste quadro. O fato, em todo caso, é que ele se intensificou ainda mais nas últimas décadas, diante dos temas e debates em torno da questão da preservação ou destruição da floresta, das atividades econômicas na sua região e da crescente mobilização dos povos indígenas em defesa de seus direitos.