Mittwoch, 11. Juni 2014
Bischof Kräutler hat "ungutes Gefühl" bei WM
Kleine Zeitung, 11.6.2014
Bischof Kräutler hat "ungutes Gefühl" bei WM
Als "Indio-Bischof" hat es Erwin Kräutler weit über die Grenzen Brasiliens hinaus zu Bekanntheit gebracht. Sein fast 50 Jahre währender Einsatz für die indigenen Völker im größten Land Südamerikas bescherte dem gebürtigen Vorarlberger den Alternativen Nobelpreis, aber auch zahlreiche Morddrohungen, weshalb er seit acht Jahren unter ständigem Polizeischutz steht.
Nachzulesen sind die Erlebnisse des bald 75-Jährigen in seinem neuen Buch "Erwin Kräutler - mein Leben für Amazonien", in dem auch die sozialen Auswirkungen der Fußball-WM in Brasilien angeschnitten werden. Im Gespräch mit der Austria Presse Agentur erzählte Kräutler vom Ärger der Menschen über hohe Ausgaben für Stadien und fehlende "FIFA-Standards" bei der Infrastruktur und berichtete auch über seine Papst-Audienz im April.
APA: In Ihrem Buch bezeichnen Sie sich als ein "in Österreich geborener Brasilianer". Freut sich der Brasilianer in Ihnen auf die Fußball-WM?
Kräutler: "Ich habe zum Fußball eine enge Beziehung und schaue mir sicher Spiele im Fernsehen an. Ich habe aber auch ein ungutes Gefühl bei der WM. Da sind Milliarden für Stadien rausgeschmissen worden, die nachher niemand mehr braucht. Dafür gibt es in anderen Bereichen wie Bildung, Gesundheit, Transport und Sicherheit keine FIFA-Standards. Deswegen demonstrieren die Leute in Brasilien, und diese Demos sind prinzipiell friedlich. Nur sind bei 100.000 Menschen immer ein paar Chaoten dabei, und darauf stürzen sich dann die Medien."
APA: Durch Korruption gehen in Brasilien schon seit vielen Jahren regelmäßig Milliarden verloren - warum haben sich die Menschen erst in den letzten Monaten in Massen gegen die Verschwendung von öffentlichen Geldern aufgelehnt?
Kräutler: "Wahrscheinlich waren die Ausgaben für die WM der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Für die Regierung waren die Demonstrationen rund um den Confederations Cup letztes Jahr ein wahnsinniger Schock, die hätte nie gedacht, dass so viele Leute auf die Straße gehen."
APA: Unmittelbar vor der WM werden die Probleme von Brasilien durch die größere mediale Aufmerksamkeit immer sichtbarer - wurde dieses Land mit seinem starken Wirtschaftswachstum in Europa zu positiv dargestellt?
Kräutler: "Ganz sicher. Aus Sicht der Regierenden sind Fortschritte passiert, aber denen geht es beim Fortschritt nur um Bruttosozialprodukt, Exporte und Wirtschaftswachstum. Wir haben von Entwicklung einen anderen Begriff, da geht es um Lebensqualität, und da mangelt es enorm. Politiker und Konzerne sind nur auf schnellen Profit aus."
APA: Sollte eine Fußball-WM erst gar nicht an ein Land wie Brasilien vergeben werden, das Geld für Investitionen in anderen Bereichen viel dringender braucht?
Kräutler: "Ich würde nicht sagen, dass Brasilien die WM nicht veranstalten kann. Aber selbst ein Weltmeistertitel würde nichts daran ändern, dass drei Tage nach dem Finale wieder Katerstimmung herrscht, weil in der Infrastruktur vieles im Argen liegt. Und es ist ein Wahnsinn, welche Unterwürfigkeit die FIFA von der brasilianischen Regierung verlangt, da wurde fast eine Diktatur aufgebaut. Dabei wurde die brasilianische Bevölkerung nicht einmal gefragt, ob sie die WM überhaupt haben will."
APA: Bietet die WM nicht wenigstens die Chance für die indigenen Völker Brasiliens, auf ihre Benachteiligung aufmerksam zu machen?
Kräutler: "Ja, und diese Chance werden sie sicher nützen. Ihre Vertreter fordern schon jetzt in den großen Städten völlig zurecht ihre in der Verfassung verankerten Rechte ein, die von der Regierung missachtet werden. Dass die Rechte der indigenen Bevölkerung in die Verfassung aufgenommen wurden, war einer meiner größten Erfolge, aber was nützt es, wenn diese Rechte nicht zur Anwendung kommen?"
APA: Was hat Ihnen Papst Franziskus in diesem Zusammenhang bei Ihrer Privat-Audienz im April geraten?
Kräutler: "Er freut sich, dass meine Mitarbeiter und ich uns für diese Völker einsetzen, das ist ihm ein großes Anliegen. Er hat gesagt, man muss Courage und Mut aufbringen, für sie einzutreten, ohne Angst vor Rückschlägen. Für diese Völker geht es um Leben und Tod - der Tod kann nicht nur physisch, auch kulturell eintreten. Die Kirche kann hier nicht ihre Augen verschließen. Sie muss sich nicht nur an die geografische, sondern auch an die existenzielle Peripherie begeben."
APA: Sie gelten als Unterstützer der Befreiungstheologie, die vor allem in europäischen Kirchenkreisen kritisiert wird. Haben Sie für diese Skepsis Verständnis?
Kräutler: "Leider ist die Befreiungstheologie in Europa missverstanden und als marxistisch bezeichnet worden, doch das stimmt nicht. Ich möchte den Papst nicht für die Befreiungstheologie vereinnahmen, aber alle Anliegen der Befreiungstheologie hat der Papst auch. Es geht um die Würde aller Menschen. Und wir wollen keine Kirche, die über den Sternen hängt, sondern eine, die ganz nah bei den Menschen ist."
APA: Wie lange werden Sie noch bei den Menschen in Amazonien sein? Schließlich müssen Sie nach Ihrem 75. Geburtstag am 12. Juli laut Kirchenrecht Ihren Rücktritt einreichen.
Kräutler: "Meine Prälatur Xingu ist so groß, dass sie dreigeteilt wird, also werde ich wahrscheinlich drei Nachfolger bekommen und es kann dauern, bis die gefunden sind. Deshalb denke ich, dass mein Abschied als Bischof nicht abrupt passieren wird."