Montag, 2. Juni 2014

Bischof Erwin Kräutler beim Zirkel Montfort in Altach


Vorarlberg Online, 2.6.2014
Besuch von Bischof Erwin Kräutler beim Zirkel Montfort

Auf seinem Besuch im heimatlichen Vorarlberg hat Bischof Erwin Kräutler, “Dom Erwin”, Ende Mai den Zirkel Montfort des VCV in Altach besucht und über seine Arbeit in Brasilien berichtet:

Das Thema der letzten Zeit ist meine bevorstehende Pensionierung, da ich am 12. Juli 2014 das 75. Lebensjahr erreichen werde. Der entsprechende Artikel im Codex Iuris Canonici lautet: „Can. 401 — § 1. Ein Diözesanbischof, der das fünfundsiebzigste Lebensjahr vollendet hat, ist gebeten, seinen Amtsverzicht dem Papst anzubieten, der nach Abwägung aller Umstände entscheiden wird.” Demgemäß werde ich im Juni einen formellen Brief an den Papst schicken, in dem ich ihm meinen Rücktritt anbieten werde. Dann warte ich ab.

Am 2. September 1981 trat ich die Nachfolge meines Onkels Erich als Bischof der Territorialprälatur Xingu an. Sie ist mit 368 086 km² (viereinhalbmal so groß wie Österreich) das flächenmäßig größte Bistum Brasiliens. Mittlerweile leben hier an die 700 000 Einwohner, jeweils um die 200 000 Menschen in drei Kommunen. Sie werden von 27 Priestern, von denen mehr als die Hälfte Einheimische sind, betreut. Die Gemeinde Altamira ist doppelt so groß wie Österreich und hat drei Filialkirchen und 14 Pfarren mit je dreißig bis neunzig kirchlichen Basisgemeinden (insgesamt 850).

90 % der Gemeinden haben keinen regelmäßigen Gottesdienst mehr, 70 % feiern nur zwei bis drei Mal im Jahr eine heilige Messe. Der Priestermangel ist ein großes Problem, das ich auch schon bei Papst Benedikt angesprochen habe. Vielleicht könnte man den Diakonen mehr Rechte einräumen und damit auch den Zölibat überdenken. Die 400 Mitglieder zählende Bischofskonferenz von Brasilien setzte eine Kommission ein, die Lösungen erarbeiten soll. Alle sollen ein Recht auf die Eucharistiefeier haben.

Innerhalb meiner Amtszeit ist die Bevölkerung um das Zehnfache gewachsen und ich mit ihr. Jedes Jahr besuche ich alle Pfarreien, was keineswegs einfach ist. Mein Nachfolger wird sich aber sicher schwer tun. Das riesige Gebiet sollte daher dreigeteilt werden, so dass ich wohl der einzige Bischof sein werde, der gleich drei Nachfolger erhalten soll. Damit dieser Prozess ins Laufen kommt, werde ich alles vorbereiten. Meine Unterredung mit dem Papst am 4. April endete mit dem scherzhaft gemeinten Auftrag: „Sag dem Nuntius, er soll gleich drei Nachfolger bestimmen.” So werde ich sicher nicht schon an meinem Geburtstag am 13. Juli in Götzis sein. Wer weiß, wie lange ich noch im Amt sein werde. Es geht mir ja gesundheitlich gut. Seit der Malaria im Jahre 1971 war ich nie mehr ernsthaft krank, selbst das bei meinen Mitarbeitern grassierende Dengue-Fieber habe ich nicht bekommen. Was ich nach meiner Pensionierung mache, weiß ich noch nicht – wahrscheinlich bin ich hier und dort. Seit den 70er Jahren habe ich die Doppelstaatsbürgerschaft. Damals war ich Chef der Alphabetisierungskampagne und mein Bundesbruder Landtagspräsident Dipl.-Vw. Siegi Gasser hat mir dabei geholfen, dass ich beim Erwerb der brasilianischen Staatsbürgerschaft meine österreichische behalten konnte. In Koblach habe ich ein kleines Apartment, das mir meine Nichte, der ich das von meinem Vater geerbte Elternhaus übergeben habe, eingerichtet hat. Ich werde jedenfalls nicht der Schatten meines Nachfolgers sein.

„Die Welt muss von den Geschehnissen hier erfahren, sie muss erkennen, wie vernichtend die Zerstörung der Wälder und indigener Völker sich auf die ganze Welt auswirkt.” - Kayapó-Anführer

Der Bau des Staudamms Belo Monte ist ein brennendes Thema. Es ist unglaublich, was da an Zerstörung passiert. Die Zustände sind chaotisch. Vor dem Bau wurden von der Umweltbehörde 40 Bedingungen gestellt, von den indigenen Völkern 23. Keine einzige wurde erfüllt. 10.000 bis 20.000 Menschen (Wissenschaftler sprechen sogar von 100 000) werden vom Kraftwerksbau angezogen und strömen plötzlich ins Land. Das schafft große Probleme, weil die Städte nicht über die nötige Infrastruktur verfügen, die einen solchen gigantischen Zustrom verkraften könnten. Altamira ist hoffnungslos überfüllt. Es gibt zu wenig öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Spitäler, die Wohnungssituation ist dramatisch. Die unnatürlichen Lebensumstände sind die eigentliche Tragödie des Staudammbaus. Jedes Wochenende gibt es 3 bis 4 Morde in Altamira, die Prostitution ist grausam und die Polizei ist machtlos. Nach der fünfjährigen Bauzeit wird ein Heer von Arbeitslosen übrigbleiben und auf der Suche nach einem Lebensunterhalt Regenwaldflächen roden.

Der Staudamm Belo Monte wird ein Gebiet größer als der Bodensee überfluten, ein Drittel von Altamira geht unter im Stausee. Moskitos und andere tropische Krankheiten übertragende Tiere finden darin ideale Brutstätten. Der Stromgewinn, der derzeit mit 11 Gigawatt (11 Milliarden Watt) angegeben wird, wird nach Meinung vieler Experten im Durchschnitt nur 4,3 GW betragen, weil der Xingu extreme Wasserschwankungen aufweist. Um diese auszugleichen, muss man weitere, geschätzte 60 Kraftwerke im Amazonasgebiet bauen. Dabei kommt der Strom nicht etwa der Bevölkerung zu gute, sondern wird hauptsächlich für die weit entfernte Aluminiumgewinnung benötigt, eine auch nicht gerade umweltverträgliche Technik.

Mindestens 40 000 Menschen werden durch Zwangsumsiedelung aus ihrer Heimat vertrieben. Die ihnen angebotenen Wohnverhältnisse entsprechen nicht ihrer Kultur. Zwar leben auch sie nicht mehr in Großfamilien mit 12 bis 14 Kindern, sind es aber gewöhnt, Freunde und Verwandte aufzunehmen und über Nacht zu beherbergen. Bei den viel zu kleinen Wohneinheiten, die man ihnen zugewiesen hat, ist ihnen das nicht mehr möglich. Die Familien leiden darunter, sagen zu müssen, dass sie nun keinen Platz mehr für ihre Gäste haben.

Brasilien ist ein Rechtsstaat mit einer demokratisch gewählten Regierung. Die Staatsanwaltschaft hat bereits 15 Prozesse gegen Belo Monte eingebracht, die jedoch nur schleppend vorangehen. Die Regierung verfolgt die „Strategie der vorhandenen Tatsachen” oder drastischer ausgedrückt „die Strategie der Straßenwalze”. Leider geht es auch dem österreichischen Turbinenhersteller Andritz AG mehr um Arbeitsplätze als um den Schutz der Umwelt und der indigenen Völker.

“Sehr lange Zeit griff der weiße Mann unser Denken und den Geist unserer Ahnen an. Jetzt soll er aufhören damit. Unsere Gebiete sind die heiligen Orte unseres Volkes, hier wohnt unser Schöpfer, der nicht geschändet werden darf.” (aus: Indianische Erklärung von Altamira, 1989)

In Brasilien gibt es 280 indigene Völker, deren Rechte in der Verfassung verankert sind. Erst im brasilianischen Staatgesetz von 1966 wurden sie, die man bis dahin nur als „Waldbewohner (silvicolas)” bezeichnet hat, wie auch Nasenbär oder Jaguar welche sind, in die „nationale Gesellschaft” integriert, womit ihnen dieselben Rechte und Pflichten zustehen wie allen Bürgern. In der Praxis sieht es allerdings anders aus. So zieht ein Indianermord auch heute noch keine Haftstrafe nach sich.

Mitarbeiter der katholischen Bischofskonferenz Brasiliens (CNBB) und Vertreter von Ordenskongregationen gründeten 1972 den Indianermissionsrat CIMI. Er unterstützt die indigenen Völker bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Im Mittelpunkt stehen die Anerkennung und der Respekt vor der Würde und der eigenen Identität der Indigenen, ihrer Kultur und Religion. Die CIMI fordert für die indigenen Völker des Recht auf Land, das Recht auf eine eigene Kultur und das Recht auf Selbstbestimmung als ethnische Minderheit. Hätte die katholische Kirche in den 80er Jahren nicht so vehement diese Forderungen vertreten, so gäbe es wohl heute keine indigene Bevölkerung mehr.

Zurzeit laufen im Kongress Bestrebungen, die Rechte der indigenen Völker wieder aus der Verfassung zu streichen. Indianer gehen in die Hauptstadt, um dagegen zu protestieren. Die Präsidentin Dilma Rousseff muss mit den aufgebrachten Indios reden. Die Indigenen sind stolze Bürger Brasiliens, weil ihre Rechte in der Verfassung verankert sind.

Die Fußball-WM ruft bei der Bevölkerung Brasiliens großen Unmut hervor. Milliarden werden für den Bau und Ausbau der Stadien in den 12 Austragungsorten der WM und deren Infrastruktur (Flugplätze, Straßen) hineingesteckt. Allein der Neubau des Stadions Mané Garrincha in Brasilia verschlingt 620 Millionen Euro, fast dreimal mehr als ursprünglich geplant. Dabei hat Brasilia nicht einmal eine Fußballtradition. Jetzt baut man riesige Stadien, die wohl nie wieder voll werden und für die man so viel Geld hinausgeworfen hat. Geld, das man dringend benötigte, um Wohnungen zu bauen, den öffentlichen Verkehr auszubauen, Schulen und Spitäler zu errichten. Die Vereinbarungen zwischen der Regierung Brasiliens und der FIFA beschränken den inoffiziellen Verkauf rund um die Stadien innerhalb eines Radius von zwei Kilometern.

Gerade Jugendliche verabreden sich via Facebook zu Protesten. Ich bin glücklich über diese jungen Menschen, die das nicht mehr mitmachen wollen. Die Demonstrationen laufen prinzipiell friedlich ab. Aber wie überall gibt es auch dabei den einen oder anderen Steine werfenden Chaoten, von dem dann im Fernsehen berichtet wird. “Die Indianervölker werden nur in ihrer Mit-Welt befreit. Ohne Land, ohne die Flüsse und ohne den Wald gibt es keine ‚gute Nachricht’ für die Indianervölker”. (Bischof Erwin Kräutler, Altamira, langjähriger Präsident des CIMI).