Freitag, 12. Februar 2016

Amazonas-Bischof Kräutler: „Die Indios brauchen ihr Land“


Main-Post, 11. Februar 2016
Amazonas-Bischof: „Die Indios brauchen ihr Land“

Wenn am Wochenende das Hilfswerk Misereor in Würzburg seine Fastenaktion 2016 eröffnet, richten sich die Blicke auf das Beispielland Brasilien. Dort kämpft Bischof Erwin Kräutler im Amazonasgebiet seit 50 Jahren an der Seite indigener Völker für deren Rechte und Selbstbestimmung. Am Sonntag predigt er gemeinsam mit Würzburgs Bischof Friedhelm Hofmann im ARD-Fernsehgottesdienst aus dem Kiliansdom zum Start der Fastenaktion. Wir sprachen mit dem 76-jährigen gebürtigen Österreicher.

Frage: Bischof Kräutler, kurz vor Weihnachten hat Papst Franziskus Ihren altersbedingten Rücktritt angenommen. Bleiben Sie am Xingu, in Amazonien?
Erwin Kräutler: Natürlich bleibe ich dort. Einen alten Baum kann man nicht versetzen. Ich bin seit 50 Jahren in Amazonien, war 35 Jahre Bischof.

Der Xingu ist Ihnen zu Heimat geworden . . .
Kräutler: Ja. Heimat ist dort, wo es gute Menschen gibt, wo man sich wohlfühlt und seine Aufgabe erfüllt. Ich bin mit 26 Jahren an den Xingu gekommen. Das ist prägend.

Warum sind Ihnen speziell die indigenen Völker so ans Herz gewachsen?
Kräutler: Zwei Onkel von mir waren schon seit 1934 in Brasilien, am Xingu – einer von ihnen als Priester. Er hat vier- bis fünfmal im Jahr Briefe nach Hause geschrieben. Und darin ging es meist um die indigenen Völker. Ich wusste also schon als Bub, was die Kayapo sind, die Indios am Xingu. Als ich 1965 selbst nach Brasilien gekommen bin, habe ich als erstes gefragt: Wie geht's den Kayapo? Die Antwort war: Ich solle mich nicht um die Indios kümmern, sondern um die armen Menschen entlang der Flüsse. Die Indios werde es in 20 Jahren nicht mehr geben. Sie seien wild, hinterhältig und müssten eigentlich ausgemerzt werden. Da habe ich gesagt: Das darf nicht sein! Ich will mich mit meinen Möglichkeiten einsetzen, damit die Indios überleben.

Sie haben einen Mordanschlag schwer verletzt überlebt, bekommen Drohungen, stehen unter Polizeischutz. Wem stehen Sie im Weg?
Kräutler: Es gibt vier Gründe. Erstens wurde im Februar 2005 eine Mitarbeiterin von mir ermordet. Für diese Mafiosi weiß auch ich zuviel – und die Regierung hat Sorge, mir könnte das Gleiche passieren. Das Zweite ist mein Einsatz für die indigenen Völker. Da bin ich vielen ein Dorn im Auge: Unternehmen, Bergbaugesellschaften, Holzhändlern, Großgrundbesitzern. Sie wollten an das Land heran – und es legt sich einer quer. Dann mein Widerstand gegen den Staudamm von Belo Monte am Xingu. Er geht an den Lebensnerv von Völkern. Und das Vierte: Männer aus Altamira hatten Schulmädchen missbraucht. Keiner hat sich aufgeregt. Aber ich habe die Leute angezeigt, als ich davon erfahren hatte. Die haben mich sofort mit dem Tod bedroht.

Sie wurden für Ihren Einsatz 2010 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Was bedeutet er Ihnen, wo Sie doch auf Ehrungen und Titel so wenig Wert legen?
Kräutler: Ich war ja nie allein unterwegs, sondern hatte immer Mitstreiter. Als Bischof steht man natürlich mehr im Rampenlicht. Deshalb habe ich diese Auszeichnungen immer stellvertretend als Anerkennung für den Einsatz angenommen - für alle, die sich mit mir eingesetzt haben, vor allem auch Frauen.

Wo leiden denn Indios heute am meisten?
Kräutler: Wir haben 1987 bei der Verfassung gebenden Versammlung dafür gekämpft, dass ihre Rechte aufgenommen werden. Das ist uns gelungen. Heute gibt es im Nationalkongress eine anti-indigene Ausrichtung, gerade von Großgrundbesitzern, die das Rad zurückdrehen will. Wir setzen uns heute ein für die Verfassung, gegen den Kongress.

Am Xingu mussten Sie erleben, dass die Verfassung nichts zählt.
Kräutler: Bei all diesen Großprojekten müssen laut Verfassung die Betroffenen, insbesondere die indigenen Völker, angehört werden. Das ist am Xingu nicht geschehen. Deshalb ist der Staudamm von Belo Monte verfassungswidrig.

Trotzdem laufen dort die Turbinen an. Was ist mit den Anwohnern passiert?
Kräutler: Sie wurden vor die Tatsache gestellt, dass sie weg müssen. Es gab Entschädigungszahlungen, aber für die meisten viel zu gering. Die Leute wurden zwangsumgesiedelt mit dem Versprechen, ihr kriegt ein schönes Häuschen. Das war dann aus Fertigteilen weit weg von der Stadt. Wenn jemand vom Fischfang lebt, wohnt er am Flussufer. Es gibt keinen Fischer im Stadtzentrum. Oder Kleinbauern. Sie haben keinen anderen Beruf und brauchen ihr Land, brauchen das Wasser.

Das heißt, hier geht es um Existenzen und die Zerstörung ganzer Kulturen?
Kräutler: Das eine ist die physische Vernichtung: Leute überleben das einfach nicht, weil sie sich nicht mehr versorgen können. Oder sie werden zwangsumgesiedelt und das ist für indigene Völker meistens fatal. Sie kommen an den Stadtrand, werden aus ihrem kulturellen Umfeld herausgerissen, und dann verfallen sie leicht dem Alkohol oder der Prostitution. Neben dem ökologischen Eingriff wurden die schweren sozialen Folgen total vergessen. Stellen Sie sich vor: Die Stadt Altamira, durch den Staudammbau von 90 000 auf 150 000 Einwohner hochgeschnellt, wird zu einem Drittel überflutet. 30 000 bis 40 000 Menschen sind direkt betroffen, sie haben ihr Haus verloren.

Wer profitiert eigentlich vom Staudamm?
Kräutler: Er wurde gebaut, um Energie zu gewinnen. Und die wird zum überwiegenden Teil den Großunternehmen zur Verfügung gestellt, vor allem im Bergbau und für den Export. Die Aluminiumverhüttung ist sehr energieintensiv.

Sind wir als Konsumenten über den Export bzw. dessen Import bei uns – zum Beispiel Soja – mitverantwortlich für den Raubbau in Amazonien?
Kräutler: Man kann das nicht mehr trennen. Wir haben nur die eine Welt. Was heute in Brasilien passiert, hat mit Sicherheit Rückwirkungen auf den alten Kontinent. Vielleicht nicht heute, aber übermorgen. Amazonien hat eine klimaregulierende Funktion für die ganze Erde. Verbunden mit jedem Staudamm ist die großflächige Abholzung von Regenwald. Abertausende Quadratkilometer sind bereits abgeholzt – auch für Rinderherden der Großgrundbesitzer oder den Soja-Anbau. Das alles ist exportorientiert. Auch im Süden Brasiliens glaubt man immer noch, Amazonien sei der Hinterhof, aus dem alles herauszuholen ist. Diese Einstellung muss geändert werden.

Ihr Bistum Xingu ist flächenmäßig größer als Deutschland. Wie erreichen Sie überhaupt die Leute?
Kräutler: Zu Wasser, zu Land und in der Luft. Am Unterlauf des Xingu bin ich auch mal zwölf oder 15 Tage mit dem Schiff unterwegs und ziehe von Gemeinde zu Gemeinde.

Sind Bischöfe in Brasilien kämpferischer und mutiger als bei uns?
Kräutler: Ich glaube, Sie sind anders und stärker gefordert. Wenn ich zum Himmel schreiendes Unrecht erlebe, auch am eigenen Leib - dann kann ich nicht mehr still halten. Ich wurde 1981 zum Bischof gewählt, 1983 hat mich die Militärpolizei niedergeprügelt. Ich habe mich auf die Seite der Ausgebeuteten gestellt. Und wenn man diesen Schritt macht, stellt man sich gegen die Interessen der Unternehmen, der Bergbaugesellschaften, der Großgrundbesitzer und all dieser Typen, die es auf den Regenwald abgesehen haben.

Erwin Kräutler
Der aus Vorarlberg stammende Erwin Kräutler (76) lebt seit 50 Jahren am Xingu im brasilianischen Amazonasgebiet. 35 Jahre war er dort Bischof und setzt sich weiter für die Umwelt und die Rechte der indigenen Völker ein. Wegen Morddrohungen steht er seit 2005 unter Polizeischutz. Zuletzt kämpfte er gegen den Bau eines gewaltigen Staudammes am Xingu. Kräutler hat vier Artikel über Amazonien und die indigenen Völker zur viel beachteten Umwelt-Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus beigetragen.



Brasilianischer Bischof prangert Ungerechtigkeit an
Bischof Erwin Kräutler kritisiert brasilianische Regierung
Der brasilianische Bischof Erwin Kräutler wirft der Regierung des Landes Rechtsbruch bei Staudammprojekten in Amazonien vor. So seien entgegen der Vorschriften die Menschen vor Ort nicht gehört worden, sagte Kräutler am Donnerstag im Vorfeld der bundesweiten Eröffnung der Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor in Würzburg.
Weiterlesen auf katholisch.de 11.02.2016