Freitag, 19. Februar 2016

Bischof Erwin Kräutler: "Flüchtlinge wollen nichts anderes als leben"


Bayern 2, 17.2.2016
Bischof Erwin Kräutler
Flüchtlinge – "Menschen, die nichts anderes wollen als zu leben"
Erwin Kräutler hat sich als Bischof in Brasilien viele Jahrzehnte lang für die Rechte der indigenen Völker eingesetzt. Im Interview mit der radioWelt auf Bayern 2 fordert er von den Europäern ein ebenso solidarisches Einstehen für Flüchtlinge.

"Es geht nur ums Leben, manchmal ums nackte Überleben - da können wir die Augen nicht verschließen und sagen: Das geht mich nichts an", meint Erwin Kräutler, ein Mann, der für die Schwachen und Unterdrückten im Amazonas im Einsatz ist - und der unter diesem Eindruck die Europäer eindringlich zur Hilfe für die Flüchtlinge auffordert.

"Können wir nicht so tun, als ob uns das nichts angehen würde"

"Ich frage mich immer wieder: Wenn das mein Bruder wäre, wenn das meine Schwester wäre, eine verwandte Person von mir - wie würde ich mich dazu stellen? Aber es sind für uns oft anonyme Gestalten, die ich nicht kenne und die ich einfach von der Grenze fernhalten will", sagt Erwin Kräutler im Interview mit der radioWelt auf Bayern 2. Und weiter: "Da geht es wirklich um die Liebe zum Nächsten, um das geschwisterliche, solidarische Einstehen für diese Menschen, die nichts anderes wollen als zu leben. Als Christinnen und Christen können wir nicht so tun, als ob uns das nichts angehen würde."

Angesichts der für den Brenner angekündigten Grenzkontrollen meint der gebürtige Österreicher Kräutler: "Die Flüchtlinge, die rüber wollen, die werden die grüne Grenzen benutzen."

"Auch wenn es sehr viele Menschen sind, wir können es nicht so einfach wegstecken und sagen: Das interessiert mich nicht. Wir müssen Konditionen schaffen, damit diese Leute überleben können."

Erwin Kräutler geht davon aus, dass die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren sobald der Krieg zu Ende ist.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle einfach dableiben wollen, sie haben ihre Wurzeln. Das muss eine vorübergehende Entscheidung sein. Wir dürfen die Leute nicht so behandeln als ob sie total unwillkommen wären."

Weiterhin für die Rechte der indigenen Völker im Einsatz

Auch nach seinem alterbedingten Rückzug als Bischof von Xingu setzt sich Erwin Kräutler für die indigenen Völker in Brasilien ein. Im Interview mit der radioWelt weist er darauf hin, dass deren in der Verfassung festgeschriebenen Rechte in Gefahr seien.

"Wenn man daran rüttelt, dann gehen diese Völker zugrunde. Das wäre ein Imageverlust für Brasilien in der Weltöffentlichkeit."

"Früher waren die indigenen Völker aufgefordert, sich in die nationale Gesellschaft einzugliedern. Das heißt, es wurde von ihnen verlangt, ihre Identität aufzugeben", erzählt Erwin Kräutler. "Nun hatten sie ein Recht auf ihr angestammtes Gebiet, auf ihre Kultur, ihr soziales Gefüge, auf ihre Sprache." Der Alltag heute sehe anders aus, es zeige sich, dass sie von Grund und Boden vertrieben werden und in Reservaten eingepfercht werden. Da können sie nicht überleben. Es gebe eine Suizidquote, die unendlich groß geworden ist, sagt Kräutler im radioWelt-Interview.

Zur Person
Erwin Kräutler wurde 1939 in Koblach im österreichischen Vorarlberg geboren. Ab 1965 war er als Missionar in Brasilien tätig. Rund 35 Jahre lang war er Bischof der Territorialprälatur Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens. International bekannt wurde Erwin Kräutler durch seinen Einsatz für die indigenen Völker im Amazonasgebiet. Im Jahr 2010 hat er den Alternativen Nobelpreis bekommen, 2015 nahm der Papst seinen altersbedingten Rücktritt an. Momentan ist Erwin Kräutler in Deutschland, um die Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zu besuchen und um die diesjährige Misereor-Aktion zugunsten von Brasilien beginnen zu lassen.


Münchner Kirchennachrichten, 18.2.2016
Bischof Erwin Kräutler fordert mehr Solidarität mit Flüchtlingen
Der emeritierte Bischof Erwin Kräutler hat Europäer zu mehr Solidarität mit Flüchtlingen aufgefordert. Der Österreicher lebt schon seit den 60er Jahren in Brasilien. Derzeit ist er in München zu Gast. Die von Österreich angekündigten Grenzschutzanlagen und Kontrollen am Brenner werden die Flüchtlinge nach Ansicht des Bischofs nicht aufhalten. Zugleich geht Kräutler davon aus, dass die Flüchtlinge nach dem Ende des Krieges in ihre Heimat zurückkehren. Kräutler hat zudem ein neues Buch herausgebracht. Unter dem Titel „Habt Mut“ geht es um die Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato Si.