OVB-online, 19.2.2016
„Ein Bischof braucht kein Palais“
Interview im Oberbayrischen Volksblatt mit Erwin Kräutler. Er ist ein freundlicher Mann mit einem verschmitzten Lächeln.
Wenn er redet in seinem österreichischen Dialekt, lässt er seine Arme rudern, als hätte das südamerikanische Temperament längst von ihm Besitz ergriffen. Erwin Kräutler war 35 Jahre Bischof der Prälatur Xingu im brasilianischen Amazonasgebiet, ist ein Kämpfer für den Schutz des Regenwalds und für die indigenen Völker am Amazonas. Aber auch für mehr Freiheit und Mitsprache in der Kirche. Sonntag erhält der 76-Jährige den bayerischen Naturschutzpreis 2016. Wir sprachen mit ihm über Kirche und das, was er die Mitwelt nennt.
-Sie werden Sonntag vom Bund Naturschutz mit dem Bayerischen Naturschutzpreis ausgezeichnet. 2010 haben Sie den Alternativen Friedensnobelpreis bekommen. Was bedeutet Ihnen eine solche Ehrung?
Der Preis gehört nicht nur mir, sondern allen Menschen, mit denen ich seit Jahrzehnten zusammenarbeite. Ein Bischof ist natürlich mehr im Rampenlicht. Aber ich habe es immer so gehalten: Ich nehme die Auszeichnungen im Namen dieser lieben Menschen an. Beim Naturschutzpreis geht es darum, dass wir uns einsetzen für Amazonien, die Mitwelt und die Völker, die dort leben. Auch hier in Europa müssen wir erkennen, dass wir in einer Welt leben, die man nicht aufteilen kann. Wir gehören zueinander und haben auch Verantwortung füreinander.
-Sie sprechen von Mitwelt, nicht von Umwelt. Warum?
Seit eh und je spreche ich von der Mitwelt. Gerade im tropischen Regenwald habe ich erfahren, dass das nicht eine anonyme Umwelt, eine Flora und eine Fauna, ist – und wir stehen ihr gegenüber. Wir gehören dazu und haben eine Verantwortung. Zu meiner großen Freude hat der Papst den Begriff in seine Enzyklika „Laudato si“ übernommen.
-Sie waren Gast bei der Deutschen Bischofskonferenz. Wie erleben Sie hier den Reichtum der Kirche?
Die Infrastruktur ist für die Menschen bestimmt – das würde ich nicht einmal als Reichtum bezeichnen. Die Kirche muss sich schon bemühen, für ihre Christen ein Umfeld zu schaffen, in dem man leben und etwas leisten kann. Wir müssen uns anpassen an die moderne Zeit – etwa bei den Medien. Aber auf allem liegt eine Hypothek, und hier gilt das Wort des geschwisterlichen Teilens. Wir brauchen keine Almosen, die von oben nach unten gegeben werden. Geschwisterliches Teilen geht viel tiefer. Ich weiß, wer meine Geschwister sind, ich möchte mit ihnen teilen, sie haben das selbe Recht auf Leben. Und auch auf Strukturen. Allerdings: Wir brauchen in Südamerika nicht so schwerfällige Strukturen wie hier.
-Sie wollen nicht so viel Geld in Steine stecken...
Ich war 35 Jahre Bischof in Xingu. Wir haben versucht, entsprechende Räume für Menschen zu schaffen. Aber einfach, rustikal. Und ein Bischof braucht nicht viel.
-Vielleicht ein Palais?
Braucht er net.
-Ein großes Auto?
Braucht er auch nicht.
-Sie tragen nicht einmal eine Mitra, die Sie als Bischof kenntlich machen würde.
Nein, brauch’ ich auch nicht. Man hatte mir vor meiner Bischofsweihe gesagt, dass die Menschen das erwarten. Ich habe aber gemerkt, dass sie das gerade nicht erwarten. Im Gegenteil.
-In Deutschland ist diese einfache Lebensart bei den Bischöfen nicht so ausgeprägt. Dabei lebt Papst Franziskus das doch vor. Wieso setzt sich das nur schleppend durch?
Weil man sagt: Das war doch immer so. Man glaubt, die Menschen wollten das. Aber genau darin liegt der Fehler. Man sollte zu all diesem Drum und Dran, den Accessoires, die jungen Leute fragen. Da würde man vielleicht eine Antwort bekommen. Wir haben eine so schwerfällige Liturgie – Mitra auf, Mitra ab. Wieso kann das nicht einfacher gehen?
-Das sind die Traditionen. Daraus lebt die Kirche seit 2000 Jahren.
Ja, das ist schön und erhebend. Ich weiß genau, was die Leute sagen. Aber ich würde trotzdem die Frage stellen: Wie stehen die jungen Menschen dazu? Sagt ihnen das etwas? Da möchte ich gerne die Antwort erfahren. Ich bin nicht dafür, dass wir in Hemd und Hose Gottesdienst feiern. Es soll schon würdig sein. Aber wir könnten es viel einfacher gestalten.
-Wird sich das Kontrastprogramm, das Franziskus lebt, gegen das Beharrungsvermögen der Kurie durchsetzen? Es gibt ja Geistliche, die bauen schon auf die Zeit nach Franziskus.
Ich hoffe, dass er noch lange lebt. Und er hat einen langen Atem. Verschiedene Dinge, die er eingeleitet hat, sind unwiderruflich. Da kann ein zukünftiger Papst nicht so tun, als hätte Franziskus nicht existiert.
-Welche meinen Sie?
Die Art und Weise seiner Amtsführung. Dass er besonders auf die Einfachheit und Schlichtheit setzt. Dass die Kirche sich nicht verbarrikadieren und warten soll, bis die Schäfchen kommen. Die Kirchentüren müssen offen sein, rausgehen müssen wir! Der Gottesdienst ist sehr wichtig, und die kontemplative Dimension dürfen wir nicht verlassen. Im Gegenteil: Das ist unsere Motivation. Aber das alles soll uns helfen, rauszugehen, an die Ränder. Nicht nur an die geografischen, sondern an die existenziellen Ränder. Zu den Flüchtlingen! Da können wir als Christen nicht unser Herz verschließen.
-Europa steht vor einer Bewährungsprobe. Wenn sich die anderen Länder nicht zu einer Verteilung der Flüchtlingszahlen durchringen können, ist vielleicht auch Bundeskanzlerin Merkel gezwungen, ihre Politik zu ändern.
Ich glaube nicht, dass sie ihren Kurs korrigiert. Sie ist eine starke Frau. Sie steht für die christlichen Werte ein. Das bewundere ich an ihr. Sie hat mit unheimlich vielen Widerständen zu kämpfen, aber für mich verkörpert sie noch die europäische Idee. Wenn wir hier keine Lösung finden, hat die EU versagt. Als es ums Geld ging, da wurde geholfen. Jetzt sind wir gefordert in einer rein menschlichen Tragödie. Wir können da nicht untätig zuschauen und so tun, als ob uns das nichts anginge.
-In Ihrer alten Heimat Österreich wird ein Grenzzaun am Brenner geplant. Wie geht es Ihnen damit?
Ich kann das absolut nicht verstehen. Ein Zaun wird Flüchtlinge nicht abhalten. Und gerade am Brenner, wo man Jahrzehnte gekämpft hat, damit dieses Tirol wieder als kulturelle Einheit zusammenkommt. Endlich ist man soweit, dass die kulturellen Werte des einen Tirol wieder zum Tragen kommen. Und auf einmal will man wieder eine Grenze ziehen. Ich weiß nicht, wie die Südtiroler das verstehen. Sie werden nicht begeistert sein. Noch dazu ist es unmöglich, die Leute aufzuhalten, wenn sie über die Grenze wollen.
Dann nehmen sie die grüne Grenze, und die ist in Tirol ziemlich lang. Ich kann nicht mit ansehen, wenn Leute auf der Flucht sind. Nehmen Sie die Frauen mit den Kleinkindern – wenn sie auf einmal vor einem österreichischen Soldaten stehen, der ein Gewehr in der Hand hat und sagt: „Hier geht es nicht weiter.“ Das kann ich mir nicht vorstellen! Wo sind wir denn? Haben wir nichts gelernt aus der Geschichte?
-Kommen wir zurück zur Kirche. Sie haben mit dem Papst über den Priestermangel gesprochen. Sie, Bischof Kräutler, können sich auch Frauen am Altar vorstellen.
Ohne weiteres, kein Problem.
-Haben Sie ihm das gesagt?
So direkt nicht. Aber der Papst hat selber auf verschiedene Thesen hingewiesen. Etwa auf die von Bischof Fritz Lobinger (bis 2004 Missionsbischof von Aliwal/Südafrika; Anmerk. der Redaktion), ohne ihn zu nennen. Dessen These lautet, dass die Menschen ein Recht auf die sonntägliche Eucharistie haben. Also müssen wir auch den Zugang schaffen. Seit 1000 Jahren kann nur ein zölibatärer Mann der Eucharistie vorstellen. Jetzt frage ich mich: Haben die Menschen in unserem Gebiet am Amazonas mit 800 Gemeinden, das so groß ist wie Deutschland und wo die Gemeinden zu zwei Dritteln von Frauen geleitet werden, kein Recht auf die Sonntagsmesse?
- Der Papst wird jetzt aber wohl nicht alles auf den Kopf stellen?
Tut er nicht. Aber er hat zu uns gesagt: Die Bischofskonferenz soll mutige Vorschläge entwickeln. Er wird es nicht im Alleingang machen. Er möchte, dass sich die Bischöfe einbringen. Das finde ich auch gut. Er will mehr Entscheidungsvollmacht der Bischofskonferenzen. Theologisch ist auch der Zölibat kein Problem. Er ist ein rein von Menschen erfundenes Gesetz. Aber ich bin nicht grundsätzlich gegen den Zölibat. Wenn ein Mann oder eine Frau um des Reiches Gottes Willen auf die Ehe verzichtet, ist das ein großer, schöner Wert. Aber: Die Eucharistie davon abhängig machen, ob jetzt zufällig ein zölibatärer Priester vorhanden ist, da bin ich dagegen. Die Zugangsbestimmungen zum Priestertum muss man überdenken. Das muss ja nicht gleich für die ganze Weltkirche gelten. Man kann es ja mal ausprobieren.
-Und das ist möglich?
Das halte ich für realistisch.
Interview: Claudia Möllers
Habt Mut!
ist der Titel des neuen Buchs von Erwin Kräutler, in dem er seine Ansichten zu Kirche und Welt darlegt. 144 S., Tyrolia-Verlag Innsbruck-Wien, 14,95 Euro