Erzdiözese Wien, 22.11.2016
Amazonas-Bischof: Kirche muss Mut eines Propheten haben
Der Glaube an Jesus muss sich nach den Worten des emeritierten Bischofs Erwin Kräutler im mutigen Einsatz für andere Menschen und in der Liebe zur Natur zeigen. "Es gibt nur eine Liebe. Dadurch, dass wir den Nächsten lieben, lieben wir Gott, und umgekehrt. Wir müssen zudem auch lieben, was Gott uns geschenkt hat, und dürfen deshalb die Natur als unser gemeinsames Heim nicht plündern", sagte der 77-jährige emeritierte Bischof der Amazonas-Prälatur Xingu am Dienstag, 22. November 2016 in Wien. Kräutler hielt im Kardinal-König-Haus das Auftaktreferat bei der Herbsttagung der Ordensgemeinschaften Österreich vor rund 600 Ordensleuten aus dem ganzen Land.
Die Kirche müsse wie der Barmherzige Samariter sein, forderte Kräutler. "Unendlich tief berührt" zeigte sich der aus Vorarlberg stammende Ordensmann - er gehört der Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut (CCPS) an - über die seit dem Vorjahr in Österreich geleistete Flüchtlingshilfe. Der große Zustrom an Helfern zeige, "dass die Menschen diese ganz tiefe innerste Solidarität spüren und fühlen: ich muss da etwas tun - es geht um Mitmenschen".
Warnung vor "Genozid" an Brasiliens Indios
Flüchtlinge seien wie jener Mann, der in der biblischen Erzählung auf dem Weg von Jerusalem nach Jericho unterwegs war und unter die Räuber kam, gab der Bischof zu verstehen. Ähnlich seien heute weltweit viele Menschen in existenzieller Not, wobei Kräutler auch vertriebene Landarbeiter, Opfer von Menschenhandel sowie Brasiliens indigene Bevölkerung als Beispiele nannte. "Man kann sich in Europa kaum vorstellen, dass da im 21. Jahrhundert noch ein Genozid stattfindet. Nachdem ihre Rechte auf Betreiben der katholischen Kirche 1988 im Gesetz verankert wurden, ist heute wieder alles weg. Die Indios dürfen nicht leben, sie werden kaltblütig erschossen", sagte der Bischof.
Die Kirche müsse bei alldem wie ein Prophet auftreten, der Gott widerspiegelt und verkündet, "dass eine andere Welt möglich ist", so Kräutler weiter. Sie müsse aufzeigen, was Menschen arm macht, und ungerechte Strukturen anprangern. Ein derartiges Vorgehen erfordere Mut zum "Martyrium", gab er Bischof zu bedenken. "Wenn ich mich etwa für die Indios stark mache, muss ich automatisch gegen jene sein, die sie um der Bodenschätze willen vertreiben wollen und heute noch lautstark rufen, dass der Indio kein Mensch, sondern ein Urwaldtier ist."
Ordensleute sollen „Mystiker“ sein
Massive Kritik äußerte Kräutler an übertriebener Betonung von Hierarchien und Zeremoniell. Dadurch werde bloß Distanz geschafft werde, so der Bischof. "In Österreich sind wir gewohnt, mit Titeln 'herumzuhauen', und auch in unserer Kirche sind wir so weit gekommen", bemerkte er. Wer ein Amt ausübe, solle "nicht abgehoben sein wie die Stratosphäre von der Erdoberfläche". Vielmehr wäre es für das Wiederfinden eines "menschlichen Verhältnisses" sinnvoll, "wenn wir sagen: Wir sind Geschwister. Wir sind alle getaufte Christen." Kirche sei eine Familie und solle dies auch zum Ausdruck bringen. Papst Franziskus vermittle genau dies durch viele Gesten, darunter etwa, dass er nicht im Apostolischen Palast, sondern im vatikanischen Gästehaus wohne.
Speziell den Ordensleuten legte Bischof Kräutler nahe, "Mystiker" zu sein. "Ohne kontemplative Dimension haben wir keine Chance", sagte er. Mystik sei der ständige Blick auf "die tiefste Motivation, die mich dabei führt, den Weg zu gehen trotz allen Hindernissen und das Wagnis auf mich zu nehmen, mich für andere Menschen einzusetzen". Liebe bis zum Äußersten sei nur möglich durch tiefe Verwurzelung in Gott. Man würde heute von den Mitgliedern der Orden nichts anderes erwarten, als dass sie Gott erlebbar machen. Kräutler: "Sie sollen spüren lassen, dass da jemand ist, der genauso menschlich ist wie ich, der aber in Gott Wurzeln geschlagen hat und so liebt wie er."
Ordensgemeinschaften.at, 22.11.2016
Bischof Erwin Kräutler:
Liebe den Menschen und die Schöpfung (
#otag16)
„Habt Mut!“ – mit dieser eindringlichen Aufforderung startete Bischof em. Erwin Kräutler sein Impulsreferat am Ordenstag 2016 im Rahmen der Herbsttagung der Ordensgemeinschaften Österreich von 21. bis 23. November 2016 im Kardinal-König-Haus in Wien Hietzing. Der Ordensmann war von 1981 bis 2015 Bischof von Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens. Dom Erwin, wie er dort genannt wurde, ist für seinen unermüdlichen Einsatz für die (Menschen-)Rechte der Indios bekannt. Sein Appell: Liebe die Menschen und die Schöpfung. (#otag 16)
„Mut ist, etwas mit der Hilfe Gottes zu wagen“, brachte es Bischof em. Erwin Kräutler vor rund 500 Ordensoberinnen, Ordensoberen und leitenden Verantwortlichen bei den Orden schnell auf den Punkt. Sie alle waren am Ordenstag am 22. November 2016 ins Kardinal-König-Haus gekommen, um sich der Frage zu widmen, die Kräutler gleich zu Beginn seines Impulsreferates stellte: „Was macht unsere Kirche aus?“
Natürlich könne man mit einer Aussage des Missionsdekrets des II. Vatikanischen Konzils antworten: Die Kirche ist von Christus beauftragt, die Liebe Gottes allen Menschen und Völkern zu verkünden und mitzuteilen.
Doch letztendlich möchte er nichts anderes tun als vier Dimensionen vorstellen, so der Missionar vom kostbaren Blut, und dabei Geschichten und Erlebnisse erzählen.
Samaritische Kirche
In seiner Heimatdiözese Xingu sei es Sitte, dass alle fünf Jahre Vertreterinnen und Vertreter aus allen Pfarren zusammenkommen; in Summe seien das gemeinsam mit Ordensleuten und Priestern rund 800 Menschen. Zur Feier dieses Treffens hatten Jugendliche die Geschichte des guten Samariters als Theaterstück aufgeführt – doch ein wenig anders als gewohnt; sie zeigten auch Probleme auf, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert sind wie Landraub, Menschenhandel oder den Genozid an den indigenen Völkern. „Ich habe das nie wieder vergessen“, so Erwin Kräutler. „Die jungen Leute zeigten Kreativität und Intuition.“ Und es sei ihm dabei das Gespräch Jesu mit den Gesetzeslehrern in den Sinn gekommen: „Das Gebot, das Himmelreich zu gewinnen, lautet schlicht: Du sollst Gott lieben aus allen deinen Kräften. Und Jesus ergänzt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Das gehöre untrennbar zusammen. Kräutler: „Es gibt nur eine Liebe. Dadurch, dass wir den Nächsten lieben, lieben wir Gott, und Gott liebt uns. Die Liebe gibt es nur einmal.“
Doch Liebe hört nicht bei den Menschen auf. Gott verlange auch eine Liebe zu dem, was er geschaffen hat: die Natur. Gottes Schöpfung sei unser gemeinsames Haus. „Wir sind beauftragt, dieses gemeinsame Haus zu gestalten. Wir dürfen es nicht plündern, sondern müssen voll Liebe und Achtung behandeln“, zeigt sich Bischof Erwin Kräutler überzeugt.
Prophetische Kirche
Vor einigen Wochen habe er den Supermond beobachtet, der wunderschön aus dem Fluss aufgestiegen war. Doch sei ihm bewusst geworden, sein Licht ist nur eine Reflexion des Sonnenlichts. So spiegle auch der Prophet nur Gott wieder; er ist ein Reflex von Gott. Und er spricht nicht mit seinen, sondern mit Gottes Worten. „Der Prophet verkündet, dass eine andere Welt möglich ist“, so Bischof Kräutler. „Wenn man an Armut denkt, denkt man: Armut ist Schicksal. Doch in der Regel trägt jemand Verantwortung dafür. Warum sind diese Leute arm? Nicht weil sie arm zur Welt gekommen sind, sondern weil sie zur Armut gekommen sind. Die Frage ist: Wie stehen wir zu diesen Menschen? Das ist der prophetische Auftrag.“ Die prophetische Kirche setzte sich für diese Menschen ein. Kräutlers Appell: „Tu etwas, hab den Mut, Dinge anzuprangern, die Menschen immer ärmer werden lassen.“
Geschwisterliche Kirche
Ein weiter Punkt sei, dass Kirche zur Familie werden müsse. In Mt. 23,8 heiße es: Ihr alle aber seid Geschwister. „Doch sind wir wirklich alle Geschwister im Orden, in der Kirche – oder gehen wir auf Distanz?“, fragte Bischof Kräutler provokant. „Geschwister können auch streiten.“ Und das bedeute auch zu verzeihen. Als Jugendliche in Xingu die Bibelstelle vom verlorenen Sohn als Theaterstück aufführten, bauten sie eine Szene ein, die nicht in der Bibel beschrieben wird, die sie aber dessen ungeachtet als notwendig betrachteten: Die Versöhnung zwischen älteren und jüngeren Brüdern. „Das ist der Sinn der Geschichte: Wir sind Geschwister“, brachte es Kräutler auf den Punkt. „Das sollen wir wieder täglich lernen: Einander als Geschwister annehmen.“
Und auch wenn wir in Österreich gewohnt wären, mit Titeln um uns zu schmeißen: „In der Kirche brauchen wir keine Titel, wir brauchen keine Exzellenzen und Prälaten, das bringt nur Distanz. Wir alle sind getaufte Christen. Wir sind Geschwister. Das ist das Schöne in einer Familie“, so der Ordensmann.
Kontemplative Kirche
Wichtig sei auch die vierte Dimension: Um Kirche leben zu können, brauche es Kontemplation. Sie sei kein Privileg von Heiligen oder Mystikern. Kräutler: „Ohne kontemplative Dimension haben wir keine Chance.“ Für ihn sei Mystik nichts anderes als „die tiefste Motivation, die mich leitet, den Weg trotz aller Wagnisse zu gehen, um mich für Mitmenschen einzusetzen. Das ist ohne die Hilfe Gottes nicht möglich.“ Beim Gebet brauche es nicht vieler Worte; letztendlich müssten wir lernen, uns vor das Allerheiligste hinzusetzen und nichts zu sagen, denn das tiefste Gebet lautet: Ich weiß, er ist da.
Im Lukasevangelium wurde das griechische Wort „Aphatos“ mit „er entschwand“ übersetzt. Doch eigentlich bedeutet es: unsichtbar. Doch wenn jemand unsichtbar ist, ist er immer noch da. „Das erfahren wir in der Eucharistie“, betonte Bischof Kräutler, und weiter: „Das ist keine symbolische Handlung, sondern: ER ist da, leibhaftig bei uns. Das ist Mystik der Gegenwart Gottes, daran sollen wir tief glauben, auch wenn es uns dreckig geht, wenn wir mit dem Leben bedroht werden. Denn es ist Tatsache: Er ist mit uns und gibt uns Kraft, den Weg zu Ende zu gehen.“