Samstag, 26. März 2011

Bischof Erwin Kräutler nennt Belo Monte ein "Monument des Wahnsinns"

Bischof Erwin Kräutler, Träger des Alternativen Nobelpreises 2010, richtet sich in einem offenen Brief an die nationale und internationale Öffentlichkeit. Darin verurteilt er Gesetzesverstöße bei der Genehmigung des geplanten Kraftwerks Belo Monte. Außer den von der Regierung irrtümlich bezeichneten "Anhörungen der Indigenen" beklagt er die zu erwartenden sozio-ökologischen Auswirkungen auf indigene Gemeinschaften und Bewohner der Ufer des Flusses sowie der ländlichen Region.

Es folgt die von Bischof Erwin Kräutler autorisierte Übersetzung des offenen Briefes:

Belo Monte: ein Dialog, den es nie gab
Offener Brief an die nationale und internationale Öffentlichkeit

Zum wiederholten Mal möchte ich mich öffentlich gegen das von der brasilianischen Regierung geplante Wasserkraftwerk Belo Monte äußern, dessen irreversible Folgen sich vor allem in den Städten Altamira, Anapu, Brasil Novo, Porto de Moz, Senador Jose Porfirio, Vitória do Xingu und auf die indigenen Völker der Region auswirken werden.

Als Bischof vom Xingu und Präsident des CIMI bat ich um eine Audienz bei Präsidentin Dilma Rousseff, um persönlich unsere Sorgen, Fragen und all die Gründe vorzubringen, die unserer Position gegen Belo Monte zugrunde liegen. Ich bedauere zutiefst, nicht empfangen worden zu sein.

Anders als gewünscht bot mir die Regierung ein Treffen mit dem Minister des Generalsekretariats der Präsidentschaft, Gilberto Carvalho, an. Indessen erklärte der Minister am 16. März in Brasília vor mehr als hundert sozialen und kirchlichen Vertretern, die an einem Symposium zum Klimawandel teilgenommen hatten, dass "es in der Regierung eine starke und fundierte Überzeugung gibt, dass Belo Monte kommen wird, dass es möglich ist, dass es machbar ist (...). Also werde ich Dilma nicht sagen, Belo Monte nicht zu machen, weil ich der Ansicht bin, dass Belo Monte gebaut werden muss".

Diese Äußerung zeigt einmal mehr, dass die Regierung nur daran interessiert ist, uns die gefassten Entscheidungen mitzuteilen und uns jeglichen offenen und substantiellen Dialog zu verweigern. Ein Treffen mit Staatsminister Gilberto Carvalho wäre also sinnlos, weshalb ich mich entschloss, die Einladung abzulehnen.

Während der letzten Jahre haben wir keine Mühe gescheut, mit der brasilianischen Regierung über dieses Projekt einen Dialog aufzunehmen. Leider mussten wir feststellen, dass der gewünschte Dialog von Anfang an vereitelt wurde. Die zwei Anhörungen mit dem ehemaligen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva am 19. März und 22. Juli 2009 waren reine Formsache. Bei der zweiten Anhörung versprach uns der Ex-Präsident, dass Vertreter des Energiesektors der Regierung baldmöglichst eine Antwort auf die gut begründeten technischen Bedenken von Dr. Bermann Celio, Professor am Institut für Elektrische Energiesysteme der Universität São Paulo, liefern würden. Diese Antwort kam bis heute nicht, genauso wie auch jene technischen Argumente nie berücksichtigt wurden, die ein Expertengremium aus 40 Wissenschaftlern, Forschern und Universitätsprofessoren, in einer Pressekonferenz veröffentlichten.

Ganz im Gegenteil stellten wir nach diesen Audienzen fest, dass IBAMA-Techniker beklagten, unter politischem Druck die Gutachten voreilig abgeschlossen und die vorläufige Lizenz für den Kraftwerksbau erteilt zu haben. Solche Fälle von politischem Druck sind öffentlich bekannt und führten auch zum Rücktritt mehrerer Direktoren und Präsidenten der staatlichen Umweltbehörde. Weiters wurde für die Errichtung der Baustelle eine "Spezifische Lizenz" erteilt, die in den brasilianischen Umweltgesetzgebung so nicht vorgesehen ist.

Am 8. Februar 2011 organisierten indigene Völker, Siedler entlang der Flüsse, Kleinbauern und Vertreter der zivilen Gesellschaft eine öffentliche Kundgebung vor dem Präsidentenpalast. Dabei wurde das Ergebnis einer Unterschriftenaktion gegen den Bau von Belo Monte mit mehr als 600.000 Unterzeichnern übergeben. Obwohl sehr früh um einen Termin gebeten wurde, hat die Präsidentin die Vertreter nicht empfangen. Es gelang ihnen nur, dem stellvertretenden Minister des Generalsekretariats der Präsidentschaft, Rogério Sottile, einen Brief mit Argumenten gegen den Kraftwerksbau zu überreichen. Der Minister versprach einmal mehr einen Dialog und bezeichnete den Brief als "einen Bericht, den ich schätze, vielleicht einer der wichtigsten in meiner politischen Beziehung zur Regierung (...) Ich werde diesen Bericht weiterleiten, diesen Brief, dieses Manifest von Ihnen, eure Bedenken... ". Bisher erfolgte keine Antwort!

Die vier Anhörungen in Altamira, Brasil Novo, Vitória do Xingu und Belém waren nicht mehr als bloßer Formalismus, um die von der Regierung bereits getroffenen Entscheidungen zu besiegeln und das Protokoll zu erfüllen. Der Großteil der betroffenen Bevölkerung konnte daran nicht teilnehmen. Gegner des Kraftwerks, denen es gelang, sich an den Orten der Audienz einzufinden, hatten aufgrund des übermäßigen Polizeiaufgebots nicht wirklich die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben.

Bis heute sind die Indios nicht zu Wort gekommen. Die "verpflichtenden Anhörungen" der Indios vor dem Kongress haben nicht stattgefunden. Es gab einige Versammlungen, um die Indios über das Kraftwerk zu informieren. Indios, die ihre ablehnende Haltung des Wasserkraftwerks Belo Monte formal zu Protokoll geben wollten, wurden von Beamten der FUNAI mit dem Hinweis beruhigt, dass es spätere Anhörungen geben werde. Zu unserer Überraschung hat die Regierung die Protokolle dieser informellen Versammlungen in einem Dokument mit dem falschen Titel "Indigene Anhörungen" veröffentlicht. Die Indios, die an diesen Versammlungen teilnahmen, haben diese Tatsache angezeigt. Aufgrund dieser Anzeigen haben wir die Generalanwaltschaft der Republik ersucht, Ermittlungen einzuleiten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Die von Herrn Maurício Tomasquim, Präsident der Energieforschungsgesellschaft (EPE), verteidigte These, dass keine indigenen Dörfer vom Kraftwerk Belo Monte betroffen seien, weil sie nicht überflutet werden, ist nur ein weiterer Versuch, die öffentliche Meinung zu täuschen. Genau das Gegenteil wird der Fall sein: die Bewohner, sowohl in den indigenen Dörfern als auch entlang der Flussufer, werden infolge des sinkenden Wasserpegels ohne Wasserversorgung sein. Diese Menschen leben aber vom Fischfang, sind Kleinbauern und nutzen den Fluss zur Fortbewegung. Wie kommen sie nach Altamira, um Einkäufe zu tätigen oder Kranke ins Spital zu bringen, wenn vor ihnen ein Damm von 1.620 Metern Länge und 93 Metern Höhe aufragt?

Wichtig ist die Klarstellung, dass keine Studien über die Auswirkungen in den stromabwärts gelegenen Gemeinden Senador José Porfírio und Porto de Moz vorliegen, genau so wenig wie über die Wasserqualität des Stausees, der gemacht wird. Welche Zukunft hat die Stadt Altamira mit derzeit etwa 105.000 Einwohnern, wenn sie zu einer Halbinsel am Ufer eines Sees mit totem und faulem Wasser wird? Die vom Staudamm Tucuruí betroffenen Menschen mussten jene Region aufgrund untragbarer Moskitoplagen und endemischer Krankheiten verlassen. Aber die Technokraten und Politiker, die in der Bundeshauptstadt leben, bagatelisieren schlicht die Möglichkeit, dass in Altamira das gleiche passieren wird.

Wir alarmieren die nationale und internationale Gemeinschaft, dass das Projekt Belo Monte auf Illegalität und Verweigerung des Dialogs mit den Betroffenen gründet, und die Gefahr besteht, dass der Bau nur unter Einsatz der Streitkräfte erfolgen kann, wie dies bei der Umleitung des Rio São Francisco im Nordosten Brasiliens bereits der Fall ist. Sollte Belo Monte tatsächlich gebaut werden, wird die Bundesregierung direkt für das Desaster verantwortlich sein, das über das Xingu-Gebiet und ganz Amazonien hereinbrechen wird.

Schließlich erklären wir, dass keine der vorgesehenen "Bedingungen" das Kraftwerk Belo Monte rechtfertigen kann. Niemals werden wir dieses Projekt des Todes akzeptieren. Wir werden den Kampf der Völker am Xingu gegen den Bau dieses „Wahnsinnsmonument“ weiterhin unterstützen.

Brasília, 25. März 2011

Dom Erwin Kräutler
Bischof vom Xingu und
Präsident des Indigenen Missionsrates - CIMI


CIMI, 25.3.2011
BELO MONTE: O DIÁLOGO QUE NÃO HOUVE
Carta aberta de Dom Erwin Kräutler à Opinião Pública Nacional e Internacional

Am Nachmittag des 25.3. überreichte Dom Erwin Kräutler der Generalstaatsanwältin Dr. Deborah Duprat eine Darstellung von Gesetzeswidrigkeiten beim Verfahren zu Belo Monte. Er erwähnt wird auch die bewusst falsche Bezeichnung von Informationsveranstaltungen mit indigenen Gemeinschaften als "indigene Anhörungen". Laut Kazique Zé Carlos Arara wurde in seiner Siedlung ausdrücklich die Niederschrift einer üblichen Arbeitssitzung unterschrieben, um zu dokumentieren, dass es keine Anhörung war.

Agência Brasil, 25.3.2011
Bispo do Xingu diz que indígenas não foram ouvidos sobre Belo Monte

EcoDebate, 8.10.2009, artigo de Rodolfo Salm
Belo Monte: a farsa das audiências públicas