Die Brasilianische Ex-Umweltministerin Marina Silva betitelt einen Kommentar über Belo Monte auf Terra Magazine: Ist hier Pandora?
Damit nimmt sie auf den Science-Fiction-Film Avatar - Aufbruch nach Pandora von Regisseur James Cameron Bezug, der weltweit am 17. und 18. Dezember 2009 startete.
Ist hier Pandora?
Marina Silva
- Brasília (DF) - 4.2.2010
IBAMA gewährt eine vorläufige Lizenz für den Bau des Wasserkraftwerks Belo Monte. Dies ist ein sehr umstrittenes Projekt am Xingu-Fluss in Pará, in der Nähe von Altamira, einer Region, die als „Volta Grande“ (Große Kehre) des Xingu bekannt ist. Diese Bezeichnung leitet sich von der Form des Flusses an dieser Stelle ab, der von oben betrachtet einem "Hufeisen" ähnelt.
Mit Dämmen soll das Wasser des Flusses in einen Kanal geleitet werden, der die gegenüberliegenden Punkte dieses Hufeisens verbindet. Am Ende dieses Kanals wird die Energie der Bewegung des abfließenden Wassers auf die Turbinen übertragen und danach mündet das Wasser wieder in den Flussverlauf.
Wie alles in Amazonien sind die Zahlen im Kontext dieses Baus gigantisch. Für den Kanal müssen etwa 210 Millionen Kubikmeter Erde und Gestein ausgehoben und transportiert werden - etwas weniger Erdreich als dem Bau des Panama-Kanals. Und es ist unklar, was mit dieser Aushubmasse geschehen soll.
In der Regenzeit führt der Xingu eine Wassermenge von 23.000 m3/s. Das entspricht dem vierfachen Volumen der Iguaçú-Wasserfälle, ebenfalls während der Regenzeit.
Die Auswirkungen auf die Umwelt sind ebenso grandios und noch immer nicht zur Gänze erfasst. Allein die Daten über die Fauna, die während der Umweltverträglichkeitsprüfung gesammelt wurden, vermitteln uns eine Vorstellung. In der Gegend gibt es 440 Vögelarten (einige davon gefährdet, wie der blaue Ara) 259 Arten Säugetiere (40 mittlere oder große), 174 Reptilien und 387 Fische.
Die Energieeffizienz der Anlage hingegen wird nicht so groß sein. Ein gewaltiges Projekt, das sicherlich mehr als 30 Milliarden Reais kosten wird - wenn alle Ausgaben wie zum Beispiel die Kosten und die Weiterführung der Überlandleitung berücksichtigt werden. Dem steht eine durchschnittliche Stromleistung von 4.428 MW gegenüber, die aufgrund der Wassermenge des Flusses erbracht werden kann. Und nicht 11.223 MW, die fälschlicherweise versprochen werden.
Die wirklich gelieferte durchschnittliche Energie an das Verteilungsnetz liegt bei 39% der maximal leistbaren Kapazität, während die technischen Gutachten eine Effizienz von mindestens 55% angeben.
Damit Belo Monte jene Produktivität erzielt, wie in den technischen Gutachten ausgewiesen, müssten im Xingu-Becken drei weitere Staudämme zur Regulierung des Wasserstands gebaut werden. Momentan hat sich die Regierung der Errichtung dieser Anlagen entledigt, denn sie sind inmitten des Xingu-Beckens geplant, wo 40% des Landes den indigenen Völkern gehören.
Allerdings führt das sture Festklammern am Projekt in dieser Größe (obwohl auch ein alternativer Damm mit fast der Hälfte an Kapazität und knapp über 15% an Differenz zwischen maximaler und durchschnittlicher Stromerzeugung) zu einem starken Misstrauen, sowohl bei Experten wie auch bei Gemeinschaften und sozialen Bewegungen. Sie vermuten, dass der Verzicht des Baues der drei anderen Staudämme nur vorübergehend sei.
Die indigene Bevölkerung - mehr als 28 ethnische Gruppen in der Region - wird zwischen den Oberläufen der Zuflüsse des Xingu-Beckens eingekeilt, wo bereits jetzt eine starke wirtschaftliche Ausbeutung und großflächige Urwaldrodungen bestehen. Und der Damm wird nicht nur die Wanderung vieler Arten stoppen sondern auch die Eigenheit des Flusslaufes ändern.
Es ist unglaublich, dass ein Projekt mit derartigen Folgen für das sensible Ökosystem ohne entsprechende Planung hinsichtlich Nutzung und territoriales Ausmaß befürwortet werden kann. Die Lösung von Problemen mit diesen Dimensionen kann nicht nur einem Unternehmen übertragen werden, das ein spezifisches Interesse an der Nutzung der Wasserkraft hat, mit all den Einschränkungen, die aus dem Genehmigungsverfahren bekannt sind.
Bei Baubeginn werden mehr als 100.000 Menschen in der Region erwartet. Dem Ansturm der Bevölkerung, inmitten des amazonischen Regenwaldes, kann nur mit einem Besiedlungsplan und einer besseren Flächenwidmung Rechnung getragen werden. Das wiederum kann nur mit einem Plan für nachhaltige Entwicklung für die vom Kraftwerk betroffene Region erreicht werden.
Das war ein großes Versäumnis in diesem Verfahren, aber nicht das einzige. Wir kommen nicht umhin zu fragen, ob es nicht noch andere Möglichkeiten für Kraftwerke gibt, die aus Sicht der Umweltverträglichkeit oder der Energieeffizienz geeigneter wären.
Es gibt jedoch keine Projekte, zu denen abgeschlossene technische und wirtschaftliche Machbarkeitstudien vorliegen, um sie dem umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren zu unterziehen. Obwohl dieser Sachverhalt seit 2003 bekannt ist, wurden erst Mitte des vergangenen Jahres die ersten Überprüfungen des Bestands hydrografischer Becken abgeschlossen, wie das des Tapajós.
So müssen umstrittene Projekte mit umfangreichen Auswirkungen innerhalb einer Frist begutachtet werden, die in keinem Verhältnis zur erforderlichen Gründlichkeit steht und das ist wie so oft ein deutlicher Beleg, dass Umweltakte von fehlender Planung anderer Regierungssektoren betroffen sind.
Am meisten jedoch ist unsere ethische Verpflichtung angesichts der Verantwortung für die Zukunft von Völkern und Kulturen betroffen. Es wurden überhaupt keine Studien über die Folgen für die indigenen Völker durchgeführt. Nur ein Beispiel: Was bedeutet das für sie, wenn die Strömung auf einer Strecke von 100 Kilometer schwindet, weil das Wasser für den Kanal gestaut wird? Die Bedingungen [wie in der Vorgenehmigung enthalten] erwähnen genau so wenig die Regelung der zwei indigenen Gebiete (Parakanã und Arara) die bereits äußerst gefährdet sind.
Diese und andere indigene Gemeinschaften brachten ihren Unmut zum Ausdruck, weil sie nie angehört wurden, wie es die Bestimmungen der Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorsehen, die von Brasilien ratifiziert, aber nie ernsthaft umgesetzt wurde.
Brasilien verfügt über ein bedeutendes Potenzial zur Energiegewinnung aus Wasserkraft, das noch zu entwickeln ist. Die Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme der Planung seitens des Sektors, innerhalb eines Zeitraums, der eine Auswahl und sichere Analyse seitens des Umweltsektors ermöglich, sowie die Unlust, Vorschläge für nachhaltige Infrastrukturprojekte in Amazonien zu diskutieren, wecken den Eindruck, dass die Regierung zuwenig für die Verbesserung der Energieeffizienz (nicht nur bei der Erzeugung) und die Entwicklung alternativer Energienutzung unternimmt. All das kann heftigen Konflikten und falschen Entwicklungen führen, die vermeidbar gewesen wären.
Trotz gegenteiliger Reden folgen wir noch immer alten Mustern und betrachten die Umwelt als Hindernis für Entwicklung. Für uns gibt es noch viele Hausaufgaben, damit wir wirklich ins 21. Jahrhundert gelangen. Wer meint, die Handlung im Film Avatar könne sich nur auf einem anderen Planeten zutragen, der irrt: Pandora kann auch hier sein.
Marina Silva ist Lehrerin an einer Mittelschule, Abgeordnete (PV-AC) und ehemalige Ministerin für Umwelt in Brasilien
Übersetzung: © PlattformBeloMonte
Weitere Informationen zu Marina Silva (Quelle: Wikipedia)
Im Januar 2003 wurde sie von Lula als Umweltministerin in die Regierung berufen. Am 13. Mai 2008 trat sie zurück, da sie ihre strategischen Umweltziele nicht genügend innerhalb der Regierung durchsetzen konnte. Auslöser war der Plano Amazônia Sustentável der Bundesregierung mit den Bundesstaatsregierungen der Anlieger, der ihr trotz des Titels nicht nachhaltig genug war. Ihr Nachfolger wurde Carlos Minc, der den Plan zur Beschleunigung des Wachstums (PAC) voll unterstützt. Wegen ähnlicher politischer Differenzen verließ Marina am 19. August 2009 die PT. Von den brasilianischen Grünen wird sie als Präsidentschaftskandidatin für die Wahlen im Oktober 2010 ins Gespräch gebracht. Sie ist weiterhin für den Umweltschutz aktiv.