RadioKulturhaus, 16. Mai 2013, 18:30 Uhr
Im Zeit-Raum: Im Kampf für Amazonien
Bischof Erwin Kräutler spricht mit Johannes Kaup über seinen Kampf für Gerechtigkeit und Menschenwürde, seine Motive, seinen Lebensweg und die aktuelle Situation seines Einsatzes gegen das Staudamm-Projekt Belo Monte.
HINWEIS:
Das Gespräch wird am 24. Juni 2013 um 16 Uhr auf Ö1 übertragen.
Der Standard, 17.5.2013
Belo-Monte-Staudamm: Kräutler wirft Brasilien Verfassungsbruch vor
Bevölkerung sei nicht entsprechend angehört worden - Menschen würden Folgen des Projekts "vielleicht physisch überleben, aber kulturell gehen sie zugrunde"
Belem/Wien/Graz - Der aus Vorarlberg stammende Bischof der Amazonas-Diözese Xingu, Erwin Kräutler, wirft der brasilianischen Regierung im Zusammenhang mit dem Bau des Belo-Monte-Staudamms Verfassungsbruch und Rechtsverletzungen vor. Rund 40.000 Menschen, vorwiegend Angehörige indigener Minderheiten, würden Lebensraum und -grundlage verlieren, kritisierte Kräutler am Donnerstagabend im Wiener ORF-Radiokulturhaus. Internationale Konzerne wie die steirische Andritz, die am Kraftwerksbau mitarbeiten, hätten sich über die Zerstörungen und Probleme nicht ausreichend informiert.
Der indigenen Bevölkerung Brasiliens steht laut Verfassung das Recht zu, bei Projekten, die ihren Lebensraum betreffen, angehört zu werden, so Kräutler. Allerdings sei das nicht eingehalten worden, wodurch die Verfassungsgesetze verletzt worden seien.
Auch in Umweltfragen handle Brasiliens Regierung nicht gesetzeskonform, da viele Auflagen schlicht nicht erfüllt worden seien. Derzeit sind bei Gericht noch Dutzende Verfahren anhängig, doch sind die Staatsgewalt und die Justiz in Brasilien nach Meinung Kräutlers so eng verflochten, dass höherrangige Instanzen oft Gerichtsurteile im Sinne der Regierung aufheben würden. Daher könne man Brasilien in diesem Zusammenhang nicht als "Rechtsstaat" sehen, meinte der Geistliche, der bereits um einen Termin beim brasilianischen Höchstrichter angesucht hat.
Kräutler: "Gebe nicht auf"
"Ich habe Beweise dafür", sagte der Bischof, der nach Morddrohungen und einem missglücktem Anschlag in Brasilien nur mit einer Security-Eskorte unterwegs ist. "Solange die Verfahren laufen, gebe ich nicht auf." Zwar seien die Bauarbeiten schon so weit fortgeschritten, dass massive Schäden nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Es sei aber immer noch sein Ziel, das Projekt zu stoppen.
Das geplante Wasserkraftwerk habe mit sauberer Energie nichts zu tun, vielmehr wäre die indigene Bevölkerung bedroht, wenn sie aus ihrem Lebensraum etwa in Containersiedlungen umgesiedelt würden: "Das ist menschenunwürdig. Ihnen wird die Lebensgrundlage entzogen, sie haben keine Berufe erlernt, viele ergeben sich dem Suff."
"Menschen gehen zugrunde"
Oft werde argumentiert, dass die Dörfer der Indios ohnehin nicht geflutet würden, meinte Kräutler. In Wahrheit sei aber eben das Gegenteil das Problem. Da der Xingu-Fluss in einen Kanal umgeleitet werden soll, würde eine rund 100 Kilometer lange Flussschleife austrocknen. "Die Menschen haben dann kein Wasser mehr, aber sie leben ja vom Fischfang. Für sie wäre das der Todesstoß. Sie werden das vielleicht physisch überleben, aber kulturell gehen sie zugrunde."
Es sei im Zusammenhang mit den Indigenen auch ein Irrtum zu glauben, den Verlust ihres Lebensraums mit Geld- oder Sachentschädigungen wettmachen zu können. Die Menschen würden zwar mit Geld gefügig gemacht, letztlich aber doch untergehen. "Ich nenne das Auricid", meinte der gebürtige Vorarlberger in Anspielung auf das lateinische Wort Aurum (Gold).
Daher sei er auch vom früheren Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva enttäuscht worden, der trotz anderslautender Versprechungen letztlich die Umwelt und die Rechte der Indios dem Fortschritt geopfert habe. "Für mich ist Fortschritt aber nur dann gegeben, wenn sich die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern."
Kritik an Andritz
Die Firma Andritz soll für das Kraftwerk die Turbinen liefern. Diese berufe sich darauf, dass das Projekt nach brasilianischem Umweltrecht genehmigt sei und Arbeitsplätze biete, so Kräutler. Es habe sich aber niemand die Mühe gemacht, sich die Umstände an Ort und Stelle anzuschauen: "Die riesigen Firmen hätten Abordnungen schicken sollen. Wir hätten den Leuten schon gezeigt, was los ist. Sie hätten sogar das Glück gehabt, dass der Bischof Deutsch spricht und sie keinen Dolmetscher brauchen."
„Unsere Zukunft wird weggespült“
Bischof Erwin Kräutler setzt sich für den Lebensraum der Indios ein
SALZBURG
/ XINGU (
eds/ib – 19. 5. 2013) / Der Stausee Belo Monte verdrängt
40.000 Menschen aus ihrem Lebensraum. Was ist das schon im Verhältnis zu
200 Millionen Brasilianern? „So argumentieren sie in der Hauptstadt.
Für mich haben alle diese Menschen ein Gesicht“, betont Dom Erwin
Kräutler. Direkt an seinem Bischofssitz in Altamira fließt der Xingu
vorbei. „Den indigenen Völkern ist dieser Fluss heilig.“ Die so genannte
zivilisierte Welt zerstört ihn.
Dom Erwin ist „empört über all
die Ausbeutung und Plünderung der Menschen und ihrer Mit-Welt“. Er lebt
und wirkt seit beinahe 50 Jahren in Brasilien. SEI SO FREI, die
entwicklungspolitische Aktion der Katholischen Männerbewegung in
Salzburg und in Feldkirch, ist ein treuer Wegbegleiter. In den
vergangenen Jahren konzentrierte sich die Unterstützung auf das Haus für
Mutter und Kind und das Refúgio. Vor kurzem überzeugten sich die
Referenten bei einer Projektreise davon, „wie Spenden aus Österreich
Lebenschancen schenken“.
Mit dem Refúgio hat der Bischof dem
„armen Volk Gottes am Xingu“ eine Zufluchtsstätte geschaffen.
„Patienten, die in Altamira keine Verwandten haben, bei denen sie
bleiben können, erhalten ein Dach über dem Kopf und Verpflegung.
Mitarbeiterinnen begleiten sie zu Arzt und Behörden.“ Tag und Nacht
klopfen Kranke an. Sr. Zélia, die Leiterin, und Sr. Jandira kümmern sich
mit einem 15-köpfigen Team um die hier gestrandeten Frauen und Männer.
Sie bleiben im Durchschnitt 20 Tage. Wer dazu in der Lage ist, zahlt
einen geringen Beitrag. Die meisten können nicht einmal zehn Reais
aufbringen, das sind umgerechnet vier Euro. Lucenildo ist einer von
ihnen. Er greift sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an sein Bein. „Die
Nerven sind verletzt, es wird einfach nicht besser.“ Ein Schlagloch
wurde ihm und seinem Zweirad zum Verhängnis.
Auch der Leidensweg
des sechsjährigen Pedro ist noch nicht zu Ende. Ob er je wieder einem
Fußball hinterherjagen kann? Der Bub saß bei seinem Onkel am Moped und
trug bei einem Unfall einen Ober- und Unterschenkelbruch davon. Pedro
pendelt nun zwischen Krankenhaus und Refúgio. „Vor ihm liegt eine
langwierige Physiotherapie“, blickt Sozialarbeiterin Sonia auf den
kleinen Dauergast und erzählt von dem nicht abreißenden Strom an neuen
Patienten. Das Haus mit 60 Betten sei ständig überbelegt.
Wie
Belo Monte den Alltag prägt, davon berichtet P. Michael Rhode. Am Haus
der Missionare vom Kostbaren Blut donnern schon frühmorgens die LKW- und
Buskolonnen vorbei. In einem Gebäude seiner Pfarre Perpétuo Socorro ist
eine Art Refúgio-Nebenstelle eingerichtet. „Rund 30 Leute können in
unserem Haus der Hilfe leben“, erzählt der aus Paderborn gebürtige
Ordensmann.
Multinationale Gewinner, einheimische Verlierer
Schon
in den 70er Jahren wollte die brasilianische Regierung die als Volta
Grande bekannte Schleife des Xingu für ein Wasserkraftwerk nutzen.
Damals landeten die Pläne aufgrund der Proteste und des Geldmangels in
der Schublade. Im Frühjahr 2013 graben die Bagger trotz fehlender
Genehmigungen jeden Tag weiter tief in den Urwaldboden hinein, um den
drittgrößten Staudamm der Welt fertigzustellen. Das
11.000-Megawatt-Kraftwerk ist längst zum Prestigeprojekt für Präsidentin
Dilma Rousseff geworden. Ein 50 Kilometer langer Damm soll den Verlauf
des Xingu umlenken. 2015 soll Belo Monte das erste Mal Strom erzeugen.
29
Milliarden Reais, rund 11 Milliarden Euro kostet die Anlage. Andritz
ist mit einer Auftragshöhe von etwa 330 Millionen Euro dabei und liefert
Turbinen und Generatoren. Auf der Homepage gibt das steirische
Unternehmen ein Bekenntnis zur Nachhaltigkeit ab, das in der Praxis
anscheinend doch nicht so viel zählt. „Die Profiteure sind
brasilianische und internationale Großkonzerne. Für die zählt nur der
Gewinn“, bringt es Bischof Erwin Kräutler auf den Punkt.
Auf der
Seite der „Verlierer“ treffen sich Flussbewohner, Fischer und
Kleinbauern. „Norte Energia verspricht alles Mögliche. Sie wollen die
Leute nur ruhig stellen. Wenn sie bauen, scheren sie sich nicht mehr um
uns“, macht sich ein Aktivist bei der Protestbewegung Xingu Vivo Para
Sempre Luft. Sprecherin Antônia Melo mahnt die Mobilisierung der
Betroffenen ein. Immer wieder werden Straßensperren oder
Baustellen-Besetzungen organisiert. Ein Totalstopp von Belo
Monte ist aber unwahrscheinlich. Doch der Protest geht weiter – auch um
weitere Staudämme zu verhindern.