Dom Erwin Kräutler, Bischof am Xingu und Präsident des indigenen Missionsrates (CIMI) beantwortet Fragen zur aktuellen Situation am Xingu
1. Trotz vieler Proteste und Kritiken ist die Versteigerung des Kraftwerks Belo Monte am 20.4. erfolgt. Sind dadurch die Chancen, es zu verhindern, in weite Ferne gerückt? Oder glauben Sie, dass es noch zu früh ist zu sagen, der Kampf sei verloren?
Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass der Kampf verloren ist. Sogar der Bundesrichter von Altamira, Antônio Carlos Almeida Campelo, der die Versteigerung von Belo Monte durch eine richterliche Verfügung gestoppt hat, sagte, wir seien erst am Anfang eines juristischen Krieges „nach all den Absurditäten bei der Versteigerung von Belo Monte.“ Ich bin überezugt, dass die Bundesverfassung respektiert werden muss. Belo Monte wäre das erste Wasserkraftwerk Brasiliens auf indigenem Territorium (Paquiçamba und Arara). In solch einem Fall sieht die Bundesverfassung im Artikel 176 eine besondere Rechtsregelung vor, die es derzeit jedoch noch nicht gibt. Sie wurde nicht einmal im Nationalkongress diskutiert. Neben den Anklagen gegen „umweltrechtliche Verstöße“ ist dieses ein entscheidendes Argument, das von der Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) und anderen Organisationen, wie dem indigenen Missionsrat (CIMI), vorgebracht wird.
Jirair Meguerian, Präsident des regionalen Bundesgerichts der 1. Region (TRF-1) hob alle Verfügungen innerhalb kürzester Zeit auf, um die Versteigerung zu ermöglichen. Bedenklich ist dabei, dass er an keiner Stelle Argumente anführt. Er begründete sein Urteil gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft damit, dass sie nur auf „Vermutungen“ basieren würden. Diese Behauptung vermittelt den Eindruck, der hochwürdigste Herr Richter hätte die 50 Seiten an Begründungen nicht gelesen. Er ließ sich von anderen Kriterien leiten. Wenn also ein Artikel der Verfassung als „Vermutung“ (= Einbildung, Hypothese) bezeichnet wird, dann befindet sich Brasilien am Rande eines Bankrotts des Rechtsstaates.
Die Bundesverfassung wurde missachtet und verletzt. Das ist die Wahrheit! Weder der Präsident noch ein Richter stehen über der Verfassung. Wenn ja, dann ist Brasilien schon zur Diktatur verkommen.
Sogar der gemäßigte Senator Pedro Simon warnte den Präsidenten der Republik. Er forderte eine Erklärungen an die brasilianische Bevölkerung über die Ausschreibung und sagte wörtlich: "Wir brauchen Energie, aber die Kontroverse um Belo Monte schockiert. Und das nicht seit heute. Nicht einmal das Militär wagte dieses Projekt durchzuführen, obwohl damals der Kongress machtlos war."
2.Vorige Woche erklärte Pedro Bignelli, Direktor der Lizenzierung des Umweltinstituts IBAMA, auf der Website von Agência Brasil, dass durch Belo Monte keine indigenen Gebiete betroffen seien. Was sagen Sie dazu?
Diese Aussage kenne ich seit langem, sie wurde ja lang und breit in den Medien wiederholt, aber sie bleibt ein Schwindel. IBAMA (Peter Bignelli) und Maurice Tomasquim, Präsident des Energieforschungsunternehmens (EPE), haben immer behauptet, dass kein indigenes Gebiet überschwemmt wird. Sie verheimlichten aber die andere Seite der Medaille.
Eine Equipe von 40 Experten hat bereits letztes Jahr eine Beurteilung über die Durchführbarkeit von Belo Monte abgegeben. Das Dokument befasst sich unter anderem mit Auswirkungen auf indigene Völker. Die Regierung ließ sich leider davon jedoch nicht beeindrucken.
Wird Belo Monte gebaut wird, dann geschehen die Arbeiten unmittelbar an der Grenze zum indigenen Gebiet. Eine Baustelle dieser Größe mit einer Unzahl an Arbeitern in dieser Nähe zur Indio-Siedlung bringen unleugbare soziale und kulturelle Auswirkungen mit sich. Auf etwa 100 km entlang der Großen Kurve des Xingu erfolgen "eine Verringerung der Wassermenge und ein Absenken des Wasserspiegels mit biologischen Auswirkungen und der Bildung des 'Abschnitts mit reduzierter Wassermenge' (TVR). Dadurch entstehen Probleme für die Schifffahrt und negative Auswirkungen auf die Auwälder.“ Dieser Verlust an natürlichen Ressourcen und Wasser betrifft direkt die indigenen Völker.
Indigene Gebiete werden nicht überflutet, das stimmt. Das Gegenteil geschieht: den Indios wird das Wasser abgeschnitten! Wie sollen sie im Trockenen leben? Wovon sollen sie sich ernähren, wenn "alle Arten, die in diesem Teil des Flusses vorkommen, unter der Wasserreduktion nicht überleben werden", oder mit anderen Worten, wenn den Indios der Fisch fehlt? Ist es nicht makaberer Zynismus, wenn man sagt, indigenes Land werde nicht überflutet, wenn aber den dort lebenden indigenen Völker die Lebensgrundlage zerstört wird?
3. Einige Experten geben zu Bedenken, dass Belo Monte nicht nur das teuerste Kraftwerk Brasiliens, sondern auch das ineffizienteste sein wird, mit einer Ausbeute von 40 % seiner Kapazität. Ungeachtet dieser Kritik bezeichnet die Regierung unbeirrt Belo Monte als unentbehrlich für den Fortschritt Brasiliens. Warum diese Beharrlichkeit?
Zwei Faktoren verursachen dieses Beharren. Einer ist politischer Natur, was die Regierung nicht zugeben will. Jeder weiß, dass Belo Monte ein Wunschkind des Planes der Beschleunigung des Wachstums (PAC) ist? Wenn die Regierung hier einen Rückschlag erfährt, gefährdet sie - nach Ansicht der PT-Parteispitze und des Präsidenten - die Wahl von Dilma Rousseff. Als bisherige Ministerin für Bergbau und Energie hat diesen Plan entworfen und geboren.
In einem solchen Zusammenhang gibt es kein Klima für eine friedliche Diskussion. Und der Präsident selbst verkündet, Belo Monte muss ausgeführt werden, auch „auf Biegen und Brechen“ und „wenn nötig, im Alleingang der Regierung“. Er kann den politische Unterton nicht unterdrücken, wenn er wiederholt sagt: "Die Kraftwerke von Belo Monte, Jirau und Santo Antônio sind Dinge, die unsere Gegner so lange verdrehen bis sie nicht stimmen." Solche wichtigen Fragen und Entscheidungen mit unumkehrbaren Folgen für Amazonien, Brasilien und den Planeten Erde werden auf dem Niveau von Parteipolitik und sogar als Wahlkampfthema verharmlost, als ginge es um den Wettstreit von Fans zweier Teams. Wie weit sind wir gekommen?
Der zweite Faktor ist „wirtschaftlicher Natur" und umfasst viele Lügen, denn von Anfang an wollte man das Projekt als Lösung gegen ein mögliches Blackout (Stromausfall) verkaufen. Die Rede ist von billiger Energie zu den Häusern der Armen. Pure Demagogie! Die eigentlichen Nutznießer von Belo Monte sind die großen Unternehmen, insbesondere die des Bergbaus und natürlich der Bausektor, der wieder einmal astronomische Summen verdienen will und seine Maschinen und das „Know-how“ in einem althergebrachten Modell des Kraftwerkbaus einsetzt: mit Erdwallen, riesigen Betonwänden, Dämmen und Kanälen werden die Fehler der Vergangenheit wiederholt, riesige Flächen überschwemmt und Wälder gerodet.
4. Einige Leute forcieren alternative Energien wie z.B. Solarenergie. Glauben Sie, dass das ein globaler Trend ist und dass auch Brasilien hier mehr investieren sollte?
Brasilien verliert eine große Chance für Innovationen. Bei der gegenwärtigen weltweiten Sorge um die globale Erwärmung in einem nie da gewesenen Tempo könnte Brasilien der Welt ein wirkliches Beispiel für den sorgfältigen Umgang mit der Umwelt geben und alternative Energiequellen wie Solar- und Windenergie fördern. Es fehlt hierbei nicht an Hochschulen, Forschungseinrichtungen und führenden Wissenschaftlern. Es fehlen Anreize, dies zu tun. Es ist einfacher zu rufen "Brasilien braucht Belo Monte" als in weitere Studien zu investieren. Zweifellos wären die Ergebnisse, dass wir kein Wasserkraftwerk Belo Monte brauchen, dass Amazonien über genügend Solarenergie verfügt und dass wir nicht einmal die Fläche eines Fußballplatzes überfluten, geschweige denn einen Fluss oder die wunderschöne Landschaft zerstören brauchen.
5. Haben Sie davon auch beim Ad-Limina-Besuch in Rom berichtet?
Ja, das haben wir. Ich betone „haben wir“, denn nicht nur ich, sondern alle Bischöfe der Region Nord-2 der CNBB haben unsere Sorge über die Zukunft Amazoniens zum Ausdruck gebracht; das Anliegen teilen alle. Es gab zweimal Gelegenheit, die Wasserkraftwerke in Amazonien zu erörtern. Einmal bei der Pressekonferenz von Radio Vatikan am 15.4., wo wir offen über die Wasserkraftprojekte an den Flüssen Xingu und Tapajós und ihre katastrophalen Folgen redeten. Das zweite Mal bei den Audienzen mit Papst Benedikt XVI. Dom Esmeraldo, Bischof von Santarém, traf sich am 15.4. persönlich mit dem Papst und dieser bat ihn, schriftliche Unterlagen über die Umweltzerstörungen am Tapajós zu hinterlegen. Ich wurde vom Papst am 16.4. persönlich empfangen und setzte die Spuren von Dom Esmeraldo fort. Ich berichtete ihm von der Bedrohung der indigenen Völker am Xingu durch Belo Monte und überreichte ihm die für die Pressekonferenz vorbereiteten Unterlagen. Ich kann sagen, dass unsere Sorge um die Zukunft Amazoniens, und insbesondere unserer Flüsse Tapajós und Xingu, den Papst tief berührt hat.
6. Während der letzten Monate gab es neben den Protesten auch viele gerichtliche Verfahren, die versuchten, Belo Monte zu verhindern. Sie haben einen Offenen Brief geschrieben und Präsident Lula getroffen. Was sind Ihre nächsten Aktivitäten?
In Wirklichkeit geht es nicht um neue Aktivitäten oder weitere Briefe an den Präsidenten. Ich werde einfach weiterhin bei allen Gelegenheiten die Völkern am Xingu verteidigen, die indigenen, die Flussbewohner und die Menschen von Altamira, die enorm unter Belo Monte leiden würden. Solange mir Gott den Atem gibt, werde ich mich einsetzen, vor allem für die am stärksten Benachteiligten und Bedürftigen. Ich möchte mit Erzbischof Oscar Romero wiederholen: "Als Hirte bin ich Gott gegenüber verpflichtet, mein Leben für die hinzugeben, die ich liebe."
7. Abschließend bitte ich Sie zu erklären, wie wichtig der Beitrag der Kirche und jedes einzelnen Bürgers bei dieser Diskussion ist. Glauben Sie, dass alle zu Belo Monte eine Meinung haben sollten?
Ich möchte nur einen Abschnitt aus dem Dokument von Aparecida zitieren, das an den Papstbesuch 2007 in Brasilien erinnert:
In seiner Ansprache an die Jugend im Pacaembu-Stadion in Sao Paulo lenkte Papst Benedikt XVI die Aufmerksamkeit auf „die Zerstörung der Umwelt Amazoniens und auf die Bedrohung der menschlichen Würde seiner Völker"und forderte die jungen Menschen zu "einem stärkeres Engagement in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern“ auf. (DA, Seite 85)
Ich bin überzeugt, dass nicht nur unsere Jugend aufgerufen ist, diese "große Verpflichtung" zu übernehmen, sondern alle von uns. Das Alter spielt keine Rolle.
Im Glaubensbekenntnis beten wir: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde.“ Der Glaube an den Vater als Schöpfer schließt die Liebe und den Eifer für alles mit ein, was Er geschaffen hat, genauso wie die Verantwortung für unser Heim („Ökologie“), das Er uns und auch künftigen Generationen anvertraut hat.